STOLPERSTEINE GELSENKIRCHEN

Die Dabeigewesenen - Gelsenkirchen 1933–1945


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Von NS-Täter/innen, Profiteuren, Denunziant/innen, Schweigenden und Zuschauer/innen

Ludwig Knickmann

Ludwig Knickmann, ein früher Nationalsozialist aus Buer/Westf. wurde von belgischen Besatzungssoldaten am 21. Juni 1923 erschossen, als er an der Lippe bei Marl illegal die Grenze zwischen besetztem und unbesetztem Gebiet übertreten wollte. Ob Knickmann tatsächlich aus politischen Gründen zu Tode kam, wie die NS-Propaganda später glauben machen wollte oder deshalb erschossen wurde, weil die Belgier ihn und seinen Begleiter Karl Jackstien beim Schmuggel von Lebensmitteln ertappt hatten, ist heute nicht mehr eindeutig zu entscheiden.

Der Vorfall bot den Nazis die Chance, Ludwig Knickmann zu instrumentalisieren, ihn propagandistisch zu "vermarkten", indem man ihm die Rolle des "Märtyrers der Bewegung" zuwies. Bis zum Jahre 1933 blieb es in der Öffentlichkeit jedoch still um den "Fall Knickmann".

Nachdem die Nazis jedoch auch in Gelsenkirchen die Macht erobert hatten, insbesondere aber nach der Installierung des "kanonischen" NS-Feierkalenders im Jahre 1934, sollte sich das grundlegend ändern. Der Tod Knickmanns und die nationalsozialistische (Um-)Interpretation stellten gradezu, so makaber das auch klingen mag, einen propagandistischen "Glücksfall" dar, bot er doch besser als die allüberall im Reich stattfindenden Feiern eine geeignete Möglichkeit, die notwendigerweise auch regional ausgerichteten Strategie nationalsozialistischer Politikwerbung umzusetzen. Von nun an wurde alljährlich nicht nur Ludwig Knickmanns gedacht, vielmehr wurde er - so mutet das Szenario an - in jedem Jahr erneut beigesetzt. So fanden die Leser der Gelsenkirchener Zeitung am Morgen des 22. Juni 1940, als sie den Lokalteil des Blattes aufschlugen, darin z.B. den folgenden Artikel vor:

"Auch gestern morgen wieder - an dem Tage, da sich zum 17. Male der Todestag des im Ruhrkampf am 21. Juni 1923 gefallenen Blutzeugen Ludwig Knickmann jährte - fand am Grabe des unvergessenen Kämpfers und Helden auf dem Buerschen Ehrenfriedhof eine schlichte Gedenkfeier statt.
...Am geschmückten Grabe Ludwig Knickmanns hatte eine Ehrenwache der SA-Standarte "Ludwig Knickmann" Aufstellung genommen. SA-Obersturmführer Henkel gedachte in schlichten Worten der Treue und des Dankes des Blutopfers, das Ludwig Knickmann in der Frühzeit der nationalsozialistischen Befreiungskampfes für Deutschlands Zukunft gebracht hat und das nun durch die glorreichen Waffen der neuen deutschen Wehrmacht seine reinste Sühne gefunden hat.

Aus den Gedenkworten sprach auch diesmal wieder das Gelöbnis, daß Ludwig Knickmanns Beispiel und Tod niemals vergessen werden sollen. Mit dem Gruß an den "Führer" und dem Gesang der Nationalhymne fand die Gedenkansprache, die von Versen des Dankes und der Treue umrahmt war, ihren Abschluß. Danach erfolgte die Niederlegung der Kränze der NSDAP-Kreisleitung Emscher-Lippe, des Düsseldorfer Gauleiters Florian, der SA-Standarte 137 "Ludwig Knickmann", des niederrheinischen SA-Obergrupenführers Heinz Knickmann, der Stadt Gelsenkirchen und der Kameraden des Ruhrkampfes. Zugleich wurden auch am Grabe des gleichfalls auf dem Ehrenfriedhof beigesetzten, im Oktober 1933 für Adolf Hitler gefallenen SA-Mannes Josef Woltmann Kränze des Gedenkens niedergelegt. Nach der Gedenkfeier auf dem Buerschen Ehrenfriedhof begaben sich die Teilnehmer zum Ludwig-Knickmann-Denkmal in Sickingmühle, wo sich ebenfalls im Rahmen einer schlichten Trauerkundgebung an den toten Kämpfer eine Kranzniederlegung anschloß."

In: "Macht der Propaganda oder Propaganda der Macht?", darin "Die Knickmann-Gedenkfeiern" von Heinz-Jürgen Priamus und Stefan Goch als Bd. 3 in der Schriftenreihe des ISG 1992 erschienen. Essen, 1992 , S. 25-38

Ludwig Knickmann zu Ehren wurde in Gelsenkirchen-Buer eine Straße benannt (die heutige Horster Straße zwischen Vincke- und Goldbergstraße hieß im NS Ludwig-Knickmann-Straße). Eine Gedenktafel wurde an der Zeche Hugo I (Buer) errichtet (Arbeitsstelle Knickmanns). 1932 fand die Einweihung des Ludwig-Knickmann-Hauses (Adolf-Hitler-Straße 48, heutige Hauptstraße 50) in Gelsenkirchen statt. (Im Volksmund auch "Braunes Haus" genannt) Dort befanden sich bis 1945 Parteizentrale und Geschäftsstelle der Gelsenkirchener NSDAP und auch die Redaktion des Parteiorgans "National-Zeitung" .

Drittes Reich in Gelsenkirchen: Das Braune Haus

Ludwig-Knickmann-Haus, Gelsenkirchen, Adolf-Hitler-Straße 48 (Im Volksmund auch das "Braune Haus" genannt). (Foto: STDA GE)

"Die um Knickmann betriebene Legendenbildung hatte deutliche Ähnlichkeit mit der bekannten Glorifizierung von Albert Leo Schlageter und Horst Wessel. Im Unterschied zu diesen bot Knickmann als der Region entstammendes "Opfer" der Masse der Bevölkerung indes viel eher die Möglichkeit zur Entwicklung persönlicher Betroffenheit und damit zur Indifikation. Die Feierlichkeiten selbst verliefen stets in ritualisierter Form, ihr Ablauf war streng geregelt und enthielt quasi-liturgische Elemente. Hierzu zählte die am Morgen des alljährlichen Gedenktages stattfindende Trauerstunde am Grab des "nationalsozialistischen Blutzeugen", wie ihn die gelenkte Presse in bewußter, aber unerlaubter Assoziation an die NS-Bezeichnung der anläßlich des nationalsozialistischen Putschversuches vom 9. November 1923 zu Tode gekommenen Hitler-Anhänger bezeichnete. Des weiteren zählte hierzu die Kranzniederlegung an dem Denkmal, das man zu Ehren Knickmanns an der Stelle errichtet hatte, wo er zu Tode gekommenn war.

Darüber hinaus verharrte den ganzen Tag über eine Ehrenwache der SA an seinen Grab - üblicherweise die nach Ludwig Knickmann benannte SA-Standarte 137 (Gelsenkirchen-Buer). Zur Ausstattung der Ehrenwache zählten Fahnen, Standarten und "trauerumflorte Feldzeichen". Die Inszenierung mußte zudem den Charakter einer "schlichten", allenfalls aber einer "schlichten und innerlich großen Feier" aufweisen. Im Gegensatz zur pompösen Feierveranstaltung dürfte dies, wie es die Nationalsozialisten selbst auszudrücken pflegten, wohl dem "gesunden Volksempfinden" entsprochen haben und ließ so aus den Reihen der Bevölkerung eine positive Resonanz erwarten. Die NSDAP nahm damit - eingedenk ihrer zu großen Teil kleinbürgerlichen Herkunft - ganz bewußt die Ansprüche der einfachen Leute an den Staat auf. Hierzu zählen eben auch Sparsamkeit und Schlichtheit."

In: (Hgb.) Horst Möller, Andreas Wirsching, Walter Ziegler. Nationalsozialismus in der Region: Beiträge zur regionalen und lokalen Forschung und zum internationalen Vergleich, München, 1996, S.191


Andreas Jordan, Projektgruppe STOLPERSTEINE Gelsenkirchen. August 2017.

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