STOLPERSTEINE GELSENKIRCHEN

Die Dabeigewesenen - Gelsenkirchen 1933–1945


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Von NS-Täter/innen, Profiteuren, Denunziant/innen, Schweigenden und Zuschauer/innen

Marx, Walter

Nachdem die Ermittlungen in der unmittelbaren Nachkriegszeit zu der Massenexekution im Westerholter Wald nicht zu einem Verfahren vor einem deutschen Gericht geführt hatten, wandte sich ein anonymer Hinweisgeber [Anm. d. Verf.: Unter dem Pseudonym "Bodo Bundesbürger"] 1959 direkt an den zuständigen Oberstaatsanwalt beim Landgericht Essen, an den damligen Innenminister und auch an die Presse. Daraufhin wurden weitere Ermittlungen eingeleitet, die jedoch mit der Einstellung des Verfahrens 1961 beendet wurden.

Die Haupttäter bei der Massenexekution von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern im Westerholter Wald, Walter Marx (Gestapo-Außenstelle Gelsenkirchen-Buer) und Otto Noack (Kriminalinspektion Gelsenkirchen-Buer), waren jedoch bereits von sowjetischen Militärgerichten nach Kriegsende u.a. wegen der Erschießung von elf Zwangsarbeitern (Sieben Männer, vier Frauen) am 28. März 1945 im Westerholter Wald zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Noack befand sich von 1945 bis 1955, Marx von 1947 bis 1955 in Haft. Marx war zudem an der Verbringung von sieben Zwangsarbeitern zur Hinrichtung durch Erhängen in die Exekutionsstätte KZ Niederhagen beteiligt und räumte auch die eigenhändige Tötung eines Zwangsarbeiters durch Erhängen im Westerholter Wald ein.

 Öffentliche Erhängung von Ostarbeitern

Abb.: Öffentliche Erhängung von 11 Personen in Köln-Ehrenfeld am 25. Oktober 1944, darunter 6 am Vortag "entlassene" Ostarbeiter. (Foto: NS-Dokumentationszentrum Köln, Bp.6188)

Die Blutspur der Endphasenverbrechen zog sich in den letzten Wochen und Monaten des Krieges auch im Rheinland und Westfalen mit dem Näherrücken der Alliierten von West nach Ost. An Endphasenverbrechen waren alle NS-Täterformationen beteiligt: NSDAP-Funktionäre, Wehrmacht, Volks- sturm, SS, Hitlerjugend und auch Zivilisten. Geheime Staatspolizei und Kriminalpolizei traten dabei jedoch mit besonderer Brutalität und Vernichtungswillen in Erscheinung.

Erschießungen im Westerholter Wald

Der Zusammenbruch des so genannten "Dritten Reichs" stand unmittelbar bevor, Amerikanische Soldaten standen in der Karwoche 1945 im Norden bereits kurz vor der Stadtgrenze Gelsenkirchens, doch fanatische Nazis wie beispielsweise Kriminalsekretär Walter Marx von der Gestapo in Buer mordeten bis zur letzten Minute des Krieges.

Noch am Mittwoch, 28. März 1945, wenige Tage vor dem Einmarsch der Amerikaner, kam es im Westerholter Wald zu einer Massenerschießung so genannter "Ostarbeiter" unter Federführung von Marx. Ein Angehöriger des Sicherheits- und Hilfsdienstes (SHD) namens Hampel habe ihm, Marx, kurz zuvor von einem geplanten Treffen zweier vorgeblicher "Chefs" einer "Bande von Plünderern" an der Breddestraße in Buer berichtet. Marx gelang es mit Unterstützung der Schutzpolizei die beiden Männer am Treffpunkt festzunehmen. Bei den nachfolgendenen "Vernehmungen" im Polizeiamt Buer habe einer der Festgenommenen von einem "Unterschlupf" der "Bande" in der Wirtschaft Kleine-Vorholt an der Hertener Straße 98 berichtet. Im Saal dieser Gaststätte waren während des Krieges russische Zwangsarbeiter untergebracht, die zumeist auf der Zeche Ewald 3/4 zwangsarbeiten mussten.

Marx führte am nächsten Tag, es soll der 24. o. 25. März 1945 gewesen sein, mit anderen Beamten und auch dem SHD-Mann Hampel, der als Dolmetscher fungiert haben soll, eine "Razzia" in der Wirtschaft Kleine-Vorholt in Gelsenkirchen-Resse durch. Fluchtversuche einzelner seien durch Schusswaffengebrauch vereitelt worden, wodurch zwei Männer angeschossen, jedoch nicht tödlich verletzt wurden. Bei der "Aktion" wurden 16 Zwangsarbeitende, darunter auch vier Frauen, festgenommen und zunächst zum Polizeigefängnis Buer gebracht. Es kann davon ausgegangen werden, das die Festgenommenen bei den nachfolgenden "Vernehmungen" durch die Gestapo Folter und Mißhandlungen ausgesetzt waren. Nach Angaben von Marx konnte er die "Vernehmungen" am nächsten Tag nicht fortgeführen, da wegen eines Befehls sämtliche Akten und Schriftstücke verbrannt werden sollten, das geschah teilweise im Heizungskeller des Polizeiamtes Buer, teilweise auch auf dem Hof des Gebäudes. Für Marx galten die Menschen jedoch bereits als "Plünderer" überführt und hatten damit in seinen Augen ihr Recht zu Leben verwirkt.

Am morgen des 28. März 1945 wurde die Gruppe der Zwangarbeiter, die nur spärlich bekleidet und barfüßig waren, von Marx, einem weiteren Gestapomann namens Grun, der nicht ermittelt werden konnte und die Beamten der Kriminalpolizei Sieker, Hohl, Pförtner und Neuer zum Westerholter Wald getrieben, um dort einen angeblichen Tötungsbefehl an den Zwangsarbeitern zu vollstrecken. Der Befehl dazu will Marx zuvor mündlich von Otto Noack (Leiter der Kriminalpolizei Gelsenkirchen-Buer) erhalten haben. Kurz vor erreichen des Waldes soll eine Person einen Fluchtversuche unternommen haben, Marx habe auf diesen geschossen, ohne jedoch zu treffen. Kurz nach betreten des Waldes gelang zwei weiteren Gefangenen die Flucht. An einer Stelle die Marx für besonders geeignet hielt, stoppte er die Gruppe und eröffnete nach eigenen Angaben gemeinsam mit Grun das Feuer aus mitgeführten Maschinenpistolen. Dabei wurden elf Personen, sieben Männer und vier Frauen erschossen, zwei Gefangenen gelang in letzter Sekunde ebenfalls die Flucht. Die vier Kriminalbeamten sollen nicht mitgeschossen haben, sondern sofort nach Beginn der Schießerei den Exekutionsort verlassen haben. Auch seien sie nicht über die bevorstehende Erschießung unterrichtet worden. Ihnen soll gesagt worden sein, das sie zur Begleitung eines "Gefangenentransportes" abgestellt seien. Die getöteten Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter wurde einige Tage später geborgen und sollen nach Informationen des Institut für Stadtgeschichte Gelsenkirchen (ISG) auf dem Hauptfriedhof Buer begraben worden sein, die archivierten Kriegsgräberlisten weisen allerdings laut Mitteilung von Dr. Daniel Schmidt (ISG) keine entsprechenden Einträge auf.

Weitere Ermittlungen

Gegenstand eines weiteren Ermittlungsverfahrens anfang der 1960er Jahre gegen Walter Marx war die Tötung von sieben "Zwangsarbeitern" in einem Konzentrationslager bei Paderborn [Anm. d. Verf.: KZ Niederhagen (Wewelsburg), dass von der Gestapo in Westfalen und Lippe von 1942 bis März 1943 auch als Exekutionstätte genutzt wurde.] Weiter räumte Marx auch die eigenhändige Tötung eines Zwangsarbeiters durch Erhängen ein, diese Exekution fand ebenfalls im Westerholter Wald statt.

In einem der Gelsenkirchener Zwangsarbeiterlager an der Marler Straße in Hassel traten bei sieben Zwangsarbeitenden eitrige Ausschläge an Armen und Beinen auf. Die Zechenverwaltung Bergmannsglück meldete das an die Gestapo, daraufhin fuhr der damalige Leiter der Gestapostelle Buer, der Kriminalsekretär Alfred Knuth zu dem Lager, um sich selber ein Bild zu machen. Nach seiner Feststellung konnten die Zwangsarbeiter mit dem Ausschlag nicht arbeiten, das habe Zechenverwaltung und dem damaligen Lagerleiter Paul Lüneborg mitgeteilt. Auf dem Rückweg vom Lager habe er einem im bekannten Arzt getroffen, dessen Name ihm nicht erinnerlich sei. Dieser habe ihn darauf aufmerksam gemacht, dass die Zwangsarbeiter sich möglicherweise ihre Verletzungen selber beigebracht haben könnten, in die sie dann giftigen Pflanzensaft gerieben haben. Knuth solle im Bereich der Unterkunft nach Sumpfdotterblumen suchen. Für Knuth war das ein Sabotageakt der Zwangsarbeiter, sofort ging er zurück in das Lager, um weitere Veranlassungen zu treffen. Die Zechenverwaltung stellte ein Fahrzeug, und gemeinsam mit Angehörigen des Lagerpersonals wurden die sieben Männer zur "Vernehmung" auf die Gestapodienststelle nach Buer gebracht. Nach ersten Vernehmungen wurden sie dann in das Polizeigefängnis Buer eingeliefert. Marx übernahm die weiteren Ermittlungen.

Von der Gestapoleitstelle Münster sei dann nach einiger Zeit eine Verfügung in Buer eingegangen, die sieben Zwangsarbeiter sollten in ein Konzentrationslager gebracht werden. Eines Morgens sei dann Krimaldirektor Dirks von der Gestapoleitstelle Münster mit einem weiteren Gestapo-Beamten bei ihm im Büro erschienen, um die Gefangenen abzuholen. Dirks habe dann Marx befohlen, den Transport ebenfalls zu begleiten. Im Konzentrationslager angekommen, wurden die Zwangsarbeiter in einen separaten, mit Stacheldraht umzäunten Bereich gebracht. Aus einer Entfernung von etwa 50 Metern habe Marx dann gesehen, das in dem beschriebenen Bereich Personen erhängt wurden. Er sei davon ausgegangen, dass es sich dabei um die soeben eingelieferten Zwangsarbeiter gehandelt haben müsse, denn bei seinem Rundgang durch das Lager habe er zunächst an jedem der drei vorhandenen Galgen je eine Person hängen sehen, dann aber an jedem Galgen mehrere Personen. Nach etwa 40 Minuten seien er und die anderen Gestapo-Beamten dann mit dem Fahrzeug nach Münster gefahren, von dort fuhr Marx mit dem Zug zurück nach Gelsenkirchen-Buer.

"Sonderbehandlung" eines Zwangsarbeiters

Ein Angehöriger der deutschen Polizei hängt einen Mann in der besetzten UdSSR.

Abb.: Symbolfoto, Ein Angehöriger der deutschen Polizei bereitet eine Hinrichtung vor. (USHMM, Photograph Number: 34223)

Ein Zwangsarbeiter, der auf der Zeche "Graf Bismarck" unter Tage arbeiten mußte, wurde der Meuterei bezichtigt, auch habe er angeblich versucht, einen Steiger in den Schachtsumpf zu stoßen. Der betreffende Zwangsarbeiter wurde vom Werksschutz der Zeche an die Gestapo Buer überstellt. Seinen Ermittlungsbericht will Marx über den damaligen Dienststellenleiter Kriminalsekretär Heinrich Ohlmeyer zur Staatspolizeistelle Münster gesandt haben, der Zwangsarbeiter befand sich derweil im Polizeigefängnis Buer. Nach etwa drei Wochen ging bei der Gestapo in Buer eine Verfügung des Reichssicherheitshauptamtes ein, wonach der Zwangsarbeiter zu erhängen sei.

Ohlmeyer habe dann Marx mit der Vollstreckung beauftragt. Abschnittkommandeur Hauptmann [d. Schutzpolizei] Fabian befahl im Januar 1945 dem Revierhauptmann Vitus Michel, 4-5 Polizeibeamte vom 13. Revier in Buer für die Hinrichtung dieses Zwangsarbeiters abzustellen, um am Hinrichtungsort Absperrmaßnahmen vorzunehmen. Die Vollstreckung sollte durch den Gestapo-Mann Walter Marx durchgeführt werden.

Gemeinsam mit den Polizeibeamten, dem Polizeivertragsarzt Dr. Meese aus Buer, Kriminalsekretär Walter Marx und dem gefesselten Zwangsarbeiter fuhr man vom Hof des Polizeiamtes Buer zur Hinrichtungsstätte. Während Dr. Meese im Fahrzeug wartete, teilte Michel die Polizeibeamten zur Absperrung ein und begab sich zum Fahrzeug. Marx ging mit dem Zwangsarbeiter und einem eigens für die Hinrichtung mitgebrachten Schemel in den Wald und vollzog dort die Tötung des Mannes. Ein erster Versuch schlug fehl, der Gefangene glitt zu Boden, den losen Strick um den Hals. Marx gab an, er habe den Knoten fehlerhaft geknüpft "weil er so aufgeregt" gewesen sei, keines- falls habe er die Absicht gehabt, damit das Leiden des Delinquenten zu verlängern - das Gegenteil war ihm nicht nachzuweisen. Anschließend zog er an einem um die Füße der Leiche gebundenen Strick diese zum Fahrzeug, wo Dr. Meese den Tod feststellte. Gemeinsam brachte man die Leiche dann zum Hauptfriedhof Buer, wo Marx bereits zuvor beim Friedhofsamt die Vorbereitung einer Grube veranlasst hatte. Die Schutzpolizisten schaufelten die Grube zu.


Andreas Jordan, Projektgruppe STOLPERSTEINE Gelsenkirchen. September 2018.

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