STOLPERSTEINE GELSENKIRCHEN

Die Dabeigewesenen - Gelsenkirchen 1933–1945


Stolpersteine Gelsenkirchen

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Von NS-Täter/innen, Profiteuren, Denunziant/innen, Schweigenden und Zuschauer/innen

Wilhelm Tenholt

Wilhelm Tenholt, geboren am 16. April 1896 in Wettringen/Münsterland war im 1. Weltkrieg Offizier der Reichswehr. 1920 kämpft er auf der Seite von Wolfgang Kapp (Kapp-Putsch) gegen die Weimarer Republik. Er wird im Anschluss Kriminalbeamter und ist bis zum Jahre 1927 in Magdeburg tätig.

1925 führte ein Raubmord in Rottmersleben zum Magdeburger Justizskandal, der 1948 als "Affaire Blum" verfilmt wurde. Der Film greift einen Justizskandal aus den Jahren 1925/26 in Magdeburg auf, der seiner- zeit großes Aufsehen erregte, später jedoch totgeschwiegen wurde, da es sich um einen offensichtlichen Mißbrauch der Richterschaft für politische Zwecke handelte. Begleitet von einer von der rechtskonservativen Presse angeheizten öffentlichen Vorverurteilung des jüdischen Fabrikanten Rudolf Haas, konzen- trierte der Magdeburger Landgerichtsrat Johannes Kölling als Untersuchungsrichter die Ermittlungen mit fanatischem Eifer allein auf den der Sozialdemokratie nahestehenden Rudolf Haas. Massive Hinweise auf die Täterschaft des rechtsradikalen Handelsschülers Richard Schröder, bei dem man die Tatwaffe und anderes Belastungsmaterial gefunden hatte, ließ Kölling unterdrücken. Die Genehmigung zu einer Hausdurchsuchung bei Schröder verweigerte er. Nachdem der wirkliche Mörder Schröder ein Geständnis abgelegt und man in seinem Hauskeller die Leiche des Mordopfers gefunden hatte, hielten Kölling und der Landgerichtsdirektor Richard Hoffmann (Stellvertreter des Landgerichtspräsidenten) in einer Presseerklärung an der vorgeblichen Täterschaft von Haas fest.

Wilhelm Tenholt war als ermittelnder Kriminalbeamter in diesen Fall verwickelt. Er ließ jede Objektivität und Professionalität vermissen, schlug sich auf die Seite von Kölling und Schröder. Er wurde daraufhin zur Kripo ins Ruhrgebiet nach Gelsenkirchen-Buer versetzt. Nach der Machtübergabe an die Nazis wurden auch sämtliche Aktenstücke und Dokumente über den Prozeß vernichtet. Nach 1933 nahmen der jüdische Fabrikant Rudolf Haas und seine Ehefrau sich angesichts massiver Verfolgung das Leben. Landgerichtsrat Kölling wurde unter dem NS-Regime erst zum Landgerichtsdirektor in Magdeburg, später zum Landgerichtspräsidenten in Aurich befördert, Landgerichtsdirektor Hoffmann zum Präsidenten des Landgerichts in Groß Berlin.

1933 setzt Göring Wilhelm Tenholt als Gestapochef in Recklinghausen ein. Tenholt ist nun maßgeblich daran beteiligt, dass die Gestapo-Leitstelle in Recklinghausen bei Antifaschisten den Namen "Schrecklinghausen" erhält. Wie viele Hitlergegner und Kommunisten wird dort auch Albert Albin Funk grausamsten Torturen und Folterungen unterworfen. Verschiedene Zeugenaussagen liegen vor, dass sein gesamter Körper blau und schwarz geschlagen wurde. Tenholt wolltel aus Funk die Strukturen der KPD herauspressen. Doch Funk gibt keine Namen preis. Am 27. April 1933 stürzt er sich in einem unbewachten Moment aus dem dritten Stock des Polizeipräsidiums fünfzehn Meter in die Tiefe, um weiterer Folter zu entgehen. Auch Maurer Heinrich Vörding, im Februar 1933 beim Ankleben von Wahlplakaten verhaftet, wurde zur Gestapo in das Recklinghäuser Polizeipräsidium gebracht. Dort wurde er von Tenholt und dessen Scher- gen, darunter war auch der Kriminalbeamte Leufke, so schwer gefoltert, dass er sich am 29. Juli 1933 wie zuvor Funke, aus dem 3. Stock des Polizeipräsidiums in Recklinghausen in den Tod stürzte. Heinrich Vörding war erst 31 Jahre alt.

Ob es sich bei diesen Fällen tatsächlich um Suizide gehandelt hat oder ob bei den "Fensterstürzen" möglicherweise von Seiten der Gestapo "nachgeholfen" wurde, konnte auch im späteren Strafverfahren gegen Beamte der Gestapo Recklinghausen nicht geklärt werden.

Eine exemplarische Aussage über die "Verhörmethoden" von Wilhelm Tenholt:

"Während die anderen Kriminal-Beamten die Wohnung durchsuchten, wurde ich von Tenholt verhört. Dabei versetzte er mir dauernd Faustschläge ins Gesicht. (…) Im Laufe des Verhörs, forderte Tenholt meine Frau auf, die Brille abzunehmen, wonach er sie dann mehrere Male ins Gesicht schlug. Wir wurden beide, meine Frau und ich, verhaftet. (…) Noch am Vormittag desgleichen Tages, wurde ich zur Vernehmung vorgeführt. Im Vernehmungszimmer wurde ich kurzerhand über einen Tisch gestoßen und mit Knüppeln und Stahlruten geschlagen. Nach etwa 30 Schlägen, wurde ich von Tenholt aufgefordert, auszusagen. Da ich schwieg, begann die Prozedur von Neuem. Dieses wiederholte sich 5 Mal, wobei ich durchschnittlich jedes Mal 50 Schläge erhielt, die auf Rücken, Gesäß und Beine niedersausten. Neben Kommissar Tenholt waren noch 6 andere Männer im Vernehmungszimmer, von denen jedes Mal 4 schlugen. Auch Tenholt selbst beteiligte sich am Schlagen. Während dieser Vernehmung sagte Tenholt zu mir, dass ein Tag vorher einer "durch das Fenster gegangen" sei und ich ihm nachfolgen könnte. Bei der letzten Prozedur wurde ich ohnmächtig."

Unter der Leitung von Günther Graf von Stosch, einem späteren Regierungspräsidenten von Münster, arbeitete Kriminalkommissar Wilhelm Tenholt in der Gestapostelle Recklinghausen, die 1933 zusammen mit der Gestapostelle Gelsenkirchen Leitstelle für ganz Westfalen war. Wilhelm Tenholt blieb bis 1936 an der Gestapostelle Recklinghausen. Später wurde Tenholt, Leiter des Homosexuellendezernats der Gestapo in Berlin. Dieses Dezernat war von der Kriminalpolizei zur Gestapo verlagert worden, als Himmler am 10. Oktober 1936 eine "Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und der Abtreibung" per Erlass einrichtete.

Im Januar 1949 konnte der unter falschem Namen als Metallarbeiter in Dormund untergetauchte ehemalige Gestopo-Mann Tenholt verhaftet werden. Vor dem Bochumer Landgericht u.u. wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit angeklagt, wurden Tenholt zahlreiche Straftaten an politischen Verfolgten nachgewiesen. Verurteilt wurde der für die "Vernehmungen" verantwortliche Tenholt wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit, Aussageerpressung und Körperverletzung im Amt in je 46 Fällen zu zwölf Jahren Zuchthaus. Sein direkter Vorgesetzter, Günther Graf von Stosch wurde hingegen freigesprochen. Tenholt wurde 1955 begnadigt und aus der Haft entlassen. Vor dem Recklinghäuser Polizeipräsidium erinnern heute Stolpersteine an Albert Albin Funk und Heinrich Vörding aus Coesfeld.

12 Jahre Zuchthaus für Tenholt
Freispruch für den Mitangeklagten Graf von Stosch


12 Jahre Zuchthaus für Gestapo-Chef Wilhelm Tenholt

Quelle: Zeitungsartikel aus Westfälische Rundschau vom 12. Oktober 1949 in "Gelsenkirchen im Nationalsozialismus: Katalog zur Dauerausstellung der Dokumentationsstätte Gelsenkirchen (Schriftenreihe des Instituts für Stadtgeschichte (ISG) - Materialien, Bd.12), 1. Auflage, August 2017, S.248"


Andreas Jordan, Projektgruppe STOLPERSTEINE Gelsenkirchen. August 2017. Edit. 8/2022

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