STOLPERSTEINE GELSENKIRCHEN

Die Dabeigewesenen - Gelsenkirchen 1933–1945


Stolpersteine Gelsenkirchen

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Von NS-Täter/innen, Profiteuren, Denunziant/innen, Schweigenden und Zuschauer/innen

'Aktion 3'

Die 'Aktion 3' steht am Ende einer Reihe von Maßnahmen, mit denen die Juden in Deutschland ausgegrenzt, entrechtet, ausgeplündert und verschleppt wurden. Die Nationalsozialisten beschlagnahmten bei der Deportation der Juden deren restliche Habe und ließen sie zugunsten des Staates verwerten. Dem "Finanztod" folgte bald die physische Vernichtung.

Unter der Tarnbezeichnung "Aktion 3" gab das Reichsfinanzministerium Anfang November 1941 Anweisungen heraus, wie bei der Deportation der deutschen Juden deren Vermögen einzuziehen sei. Der Vermögensentzug und die Verwertung erfolgten in enger Zusammenarbeit von Finanzbeamten mit der Gestapo und unter Mitwirkung u.a. von Stadtverwaltungen, Hausverwaltern, Gerichtsvollziehern, Bankangestellten, Auktionatoren und Spediteuren. Die durch die 'Aktion 3' erzielten Einnahmen, die aus der Verwertung des in den Wohnungen zurückgelassenen Inventars und dem Einzug des Restvermögens stammen, werden auf rund 778 Millionen Reichsmark beziffert. (Nach heutiger Kaufkraft rund 3,9 Milliarden Euro)

Abb.: Ab Juli 1941 wurde das restliche noch in Bremen und Hamburg verbliebene Übersiedlungsgut, das zum Teil auch bei Speditionen eingelagert war, beschlagnahmt. Grundlage hierfür war ein Schreiben des Reichsfinanzministers an die Oberfinanzpräsidenten vom 8. Juli 1941. Mit dem Schreiben wurden die Hauptzollämter angewiesen, auch das bei den Speditionen eingelagerte und unter Zollverschluss zurückgehaltene »Umzugsgut den Stapo(leit)stellen zum Zwecke der Versteigerung freizugeben«. So wurde auch eine Kiste Umzugsgut (Hausrat u. Bekeidung), Gewicht 187 Kg aus dem Besitz der Jüdin Schoschana Frisch, letzte Anschrift: Gelsenkirchen, Bismarckstr. 98 - penibel hielt der versteigernde Hamburger Gerichtsvollzieher Gerlach in einer sechsseitigen Auflistung den Erlös einzelner Gegenstände sowie die Namen der Käufer fest.

Schon bei der Ausplünderung von jüdischen "Emigranten" war der nationalsozialistische Staat mit eigens geschaffenen Gesetzen, Verordnungen und Erlassen vorgegangen. Vom Unrechts-Staat damit förmlich besiegelt, erledigten die zuständigen Beamten derartige Aufgaben bürokratisch-korrekt wie gewöhnliche Verwaltungsakte. Von der Ausplünderung der letzten Habe der deutschen Juden profitierten weite Kreise der so genannten 'Volksgemeinschaft'. Öffentliche Versteigerungen von sogenanntem 'nichtarischen Vermögen' entwickelten sich zu regelrechten 'Schnäppchenjagden'.

Allein in Hamburg wurde das Eigentum von 30.000 Juden aus Westeuropa angeboten und von rund 100.000 Käufern erworben. Der deutsche Historiker und Autor Frank Bajohr spricht von einer "moralischen Indifferenz" der Käufer, die materiell von der Vernichtungspolitik profitierten und ihr Verhalten damit rechtfertigten, es habe sich bei den Besitztümern um Staatseigentum gehandelt, weil es von Finanzbeamten zugunsten des Deutschen Reiches versteigert wurde. Als "Bombengeschädigte" definierten sie sich selbst als "Opfer des Krieges", verdrängten etwaige Skrupel und forderten ungeniert, Ausgebombte mit jüdischem Eigentum zu entschädigen.

Jüdische Umzugsgüter werden beschlagnahmt und versteigert

Ende 1940 begann sich die Gestapo für die in den Häfen lagernden Umzugsgüter der jüdischen "Auswanderer" zu interessieren, um auch diese Werte dem Deutschen Reich zuzuführen. Es folgte die Beschlagnahmung und Öffnung aller Lifts und anschließend die öffentliche Versteigerung des Inhalts im Auftrag der Oberfinanzdirektionen. Über die Auktionen haben diese Hausrat- und Wertgegenstände ihren Weg in viele private Häuser und Wohnungen gefunden, wo sie sich möglicherweise noch heute befinden.

Versteigerung von Umzugsgut aus vormals jüdischem Eigentum

Abb.: Das Hab und Gut, verpackt in Container-großen sogenannten Liftvans, sollte den jüdischen "Emigranten" mit Speditionen über die Umschlagplätze in Bremen und Hamburg nachgeschickt werden. Doch tausende Kisten Übersiedlungsgut erreichten ihre ursprünglichen Besitzer nie. Mit Kriegsbeginn 1939 liefen die Frachtschiffe nicht mehr aus. Die Kisten stapelten sich in den Häfen - und die Gestapo ließ sie beschlagnahmen. Zwischen April 1940 und Mitte 1943 wurden die Umzugsgüter versteigert.


Andreas Jordan, Projektgruppe STOLPERSTEINE Gelsenkirchen. Dezember 2024.

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