STOLPERSTEINE GELSENKIRCHEN

Die Dabeigewesenen - Gelsenkirchen 1933–1945


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Von NS-Täter/innen, Profiteuren, Denunziant/innen, Schweigenden und Zuschauer/innen

Ernst Bein

Ernst Bein

Abb. 1: Seite des Dienstpasses des ehemaligen Ordnungspolizisten Ernst Bein. Dokumentiert wird nicht nur die Zugehörigkeit zum Polizeibatallion 61, sondern auch der "Osteinsatz bei der Kampfgruppe v. Gottberg" Auch Ernst Bein hat sich bereitwillig als Angehöriger einer Mordinstitution am Vernichtungskrieg und Massenmord u.a. in Polen und Weißruthenien beteiligt.

Ernst Bein war bereits vor dem 2. Weltkrieg Kraftfahrer und danach Autovermieter, lebte in der NS-Zeit laut Gelsenkirchener Adressbuch (Ausgabe 1939) an der Lange Str. 7 in Gelsenkirchen-Resse. Er verbrachte den Krieg als Polizei-Kraftfahrer (auch Ausbilder) im Osten, zuweilen aber auch in Ruhrgebiets-Polizeirevieren. Hauptsächlich fuhr er "normale" Polizeioffiziere, wiederholt auch hohe Nazi-Führer wie den Höheren SS und Polizeiführer (HSSPF) und General der Polizei und Waffen-SS Friederich Jeckeln und den für das so genannte "Generalgouvernement" zuständigen Reichsminister Hans Frank sowie regelmäßig auch SS-Standgerichte. Darüber hinaus wurde er vielfach bei "Transportsicherungen", "Absperrungen", der Fahndung nach "Partisanen" und der "Bewachung" von russischen Kriegsgefangenen eingesetzt.

Von der systematischen Judenvernichtung hat er frühzeitig erfahren; auch war ihm bekannt, dass dies teilweise unter dem Deckmantel der polizeilichen "Partisanenbekämpfung" geschah. Selbst war nach seinen eigenen Angaben er nie in einem KZ und wissentlich auch nicht an der direkten Ermordung von Juden beteiligt. Gelegentlich sprach er davon, "gewisse Sauereien am Wegesrand" mitbekommen zu haben. Abgesehen von einem anlässlich einer polizeilichen "Vergeltungsaktion" von ihm mit aufgehängten polnischen "Partisanenpfarrer" und von den "üblichen Feuergefechten" im Rahmen vonzwischenzeitlichen Frontaufenthalten habe er im Krieg "wissentlich" nur drei Menschen getötet: sowjetische Soldaten, die ihn während einer Fahrt in einem Baum sitzend am hellichten Tag beschossen hatten.

Ernst Bein

Abb. 2: Private "Vergangenheitsbewältigung": Urkunde über den apostolischen Segen des Papstes für den ehemaligen Ordnungspolizisten Ernst Bein und Familie vom 6.12.1979. Nach Auskunft des Enkels fand Ernst Bein seinen "Seelenfrieden" dadurch, das er bis zu seinem Tod 1987 fest davon überzeugt war, daß ihm der Papst persönlich seine "Kriegsschuld" vergeben hat.

Nach wenigen Wochen in amerikanischer und britischer Gefangenschaft traf er bereits Juli 1945 wieder zuhause ein. In den 50er bzw. 60er Jahren wurde er wohl mehrfach im Rahmen von Kriegsverbrechen-Ermittlungen von der Kriminalpolizei im Polizeipräsidium Buer befragt. Ob er auch als Zeuge bei entsprechenden Prozessen auftreten musste, ist nicht bekannt. Weihnachten 1979 hing im Wohnzimmer der Großeltern plötzlich durch die Vermittlung eines polnischen Geistlichen eine angeblich vom Papst eigenhändig signierte Urkunde, mit der dieser der Familie den Apostolischen Segen übermittelte. Der mittlerweile von "Gewissensbissen" geplagte ehemalige Ordnungspolizist Bein fand seinen Seelenfrieden dadurch, dass er bis zu seinem Tod fest davon überzeugt war, dass ihm der Papst persönlich seine (nicht näher offengelegte) "Kriegsschuld" vergeben hat.

"Mancher der Dabeigewesenen empfand tiefe Schuldgefühle, einige nahmen sich das Leben, andere stehen noch heute auf dem Standpunkt, dass allein ihre Vorgesetzten die Unrechtstaten zu verantworten haben. Wenn ein Polizist weiter psychisch unter den Kriegsjahren litt, hatte er damit allein zurechtzukommen. Die Kriegserfahrungen und das Zuschauen und die Beteiligungen am Genozid stellten für viele Bataillonsangehörige eine Ungeheuerlichkeit dar. Exekutionen auch an Frauen und Kindern, Ghettoräumungen, aber auch der rassistische Besatzeralltag müssen für die westfälischen Männer – oft katholisch sozialisiert – einen absoluten Tabubruch dargestellt haben: ein klassisches Thema für die Beichte. Ein Indiz für diese Art der Verarbeitung mag die von Papst Johannes Paul II. unterzeichnete Segensurkunde sein, die der ehemalige Fahrer des HSSPF Jeckeln durch die Vermittlung eines polnischen Geistlichen erhielt" schreibt der Enkel von Ernst Bein in einem Artikel.

Die "alten Kameraden", allesamt ehemaligen Ordnungspolizisten aus Gelsenkirchen, "erinnerten" sich oftmals unter Alkoholeinfluss im Rahmen von z.B. Kegelabenden oder auch beim "geselligen Miteinander" nach dem so genannten "Polizeischwimmen" im Hallenbad Buer gerne an Massenerschießungen (auch von Frauen und Kindern) oder "simulierten" derartige Vorfälle gar. Eine der nachgestellten Szenen basiert auf folgende Mordaktion: "Zwei ungefähr gleichgroße Kinder wurden gezwungen, sich Hinterkopf an Hinterkopf aufzustellen, eines musste den Mund öffnen, damit der Mörder mit einem Schuss beide ermorden konnte". So beschrieb es Beins Enkel, der in jungen Jahren von seinem Opa Ernst des öfteren zum so genannten Polizeischwimmen mitgenommen wurde.

Es kann als sicher gelten, dass allein die "Kampfgruppe von Gottberg" für den gewaltsamen Tod von über 50.000 Menschen verantwortlich ist.


Andreas Jordan, Projektgruppe STOLPERSTEINE Gelsenkirchen. November 2018.

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