STOLPERSTEINE GELSENKIRCHEN
Die Dabeigewesenen - Gelsenkirchen 1933–1945

← Die Dabeigewesenen - E-I
Von NS-Täter/innen, Profiteuren, Denunziant/innen, Schweigenden und Zuschauer/innen
Ghettohäuser in Gelsenkirchen 1939-1945
Die Diskriminierung von Jüdinnen und Juden in der Zeit des Nationalsozialismus, die schließlich in ihrer massenhaften Vernichtung gipfelte, verschärfte sich ab 1933 kontinuierlich. Es lassen sich schematisch verschiedene Stufen der Verfolgung voneinander differenzieren. Ghettohäuser (In der NS-Sprache 'Judenhäuser') in den Städten spielten in diesem Zusammenhang eine entscheidende Rolle. Ab Herbst 1939 wurde auch in Gelsenkirchen das Netz von Ghettohäusern und Zwangsräumen beständig erweitert.
Abb.: Merkblatt Mietverhältnisse mit Juden, 1939.
Die "gesetzliche Grundlage" zur Einrichtung von Judenhäusern lieferte das Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden vom 30. April 1939. Ein deutscher Vermieter durfte seinen jüdischen Mietern kündigen, wenn er durch eine amtliche Bescheinigung nachweisen konnte, daß die anderweitige Unterbringung des Mieters sichergestellt war. Das Gesetz legte fest, daß Juden, die noch über eigene Wohnräume verfügten, zur Aufnahme wohnungsloser jüdischer Familien verpflichtet waren. Die Zusammenlegung der Juden in Judenhäusern war Aufgabe der örtlichen Wohnungsämter. Die zwangsweise eingewiesenen Menschen lebten oft auf engstem Raum und unter menschenunwürdigen Bedingungen zusammen. Die Haustüren durften nachts nicht verschlossen werden. Die Gestapo wollte jederzeit Zugang zu den Häusern haben. Oft wurden die jüdischen Bewohner von Mitbürgern und Gestapoleuten belästigt. Jedes dieser Judenhäuser wurde so eine Art kleinräumige Ghettos in unmittelbarer Nachbarschaft von Häusern mit nichtjüdischen Bewohnern. Die Häuser mussten durch einen großen gelben Stern gekennzeichnet werden.
 Abb.: Interaktive Stadtkarte: Verortung Gelsenkirchener Ghettohäuser, mit einem KLICK auf die Grafik gelangen Sie zur Karte.
Zwischen Herbst 1939 und 1942 gab es in Gelsenkirchen eine nicht unerhebliche Anzahl sogenannter "Judenhäuser" und "Judenwohnungen", in denen Juden vor ihrer Deportation "untergebracht" wurden. Obwohl die erzwungene Umsiedlung in ein "Judenhaus" oder in "Judenwohnungen" eine weitreichende, negative Erfahrung für die jüdische Bevölkerung Gelsenkirchens war, ist das Thema bis heute nur noch wenigen Gelsenkirchener*innen bekannt.
Die Gier wohnt immer noch hier
Häuser aus dem Besitz jüdischer Eigentümer und enteignete ('arisierte') Gebäude sind bis heute ein Mahnmal für Habgier und Gier, weil sie den systematischen Raub und die skrupellose Bereicherung während der NS-Zeit sichtbar machen. Die Nazis enteigneten jüdische Eigentümer gezielt, um Wohnraum und Vermögen für „arische“ Deutsche freizumachen – oft wurden diese Wohnungen und Häuser bevorzugt an NSDAP-Mitglieder, Funktionäre oder andere Profiteure vergeben. Die Opfer wurden nicht nur entrechtet und vertrieben, sondern auch gedemütigt, indem sie in sogenannte "Judenhäuser" gepfercht wurden, bevor sie endgültig aus der Gesellschaft entfernt wurden - die Ghettohäuser fungierten auch als Sammelstelle für die anstehenden Deportationen.
Der materielle Wohlstand, den viele aus diesen Enteignungen zogen, steht exemplarisch für eine Gesellschaft, in der Gier und Eigennutz über Menschlichkeit und Recht triumphierten. Die Tatsache, dass diese Immobilien bis heute Gegenstand von Rückgabe- und Entschädigung sind, zeigt, wie tief diese Schuld in der Gesellschaft verankert ist und wie lange die Folgen von Habgier und Unrecht fortwirken. Die Gier wohnt immer noch hier. Vielleicht sollten wir beim nächsten Spaziergang durch die Stadt nicht nur nach oben zu den schicken Fassaden schauen, sondern oftmals auch nach unten zu den Stolpersteinen, die an die wahren Besitzer erinnern. Denn der Wohlstand, auf dem Gelsenkirchen heute steht, hat einen hohen Preis: Er wurde nicht zuletzt mit der Gier und Habgier der Vergangenheit bezahlt. Und solange wir das nicht ehrlich aufarbeiten, bleibt die antijüdische Wohnungspolitik des NS-Staats von damals ein Gespenst, das immer wieder an unsere Türen klopft.
Siehe auch: → Ghettohäuser in Gelsenkirchen: Mythos von der ahnungslosen Ausgrenzungsgesellschaft
|
Andreas Jordan, Projektgruppe STOLPERSTEINE Gelsenkirchen. Juli 2025.
|
↑ Seitenanfang
|
|
|