STOLPERSTEINE GELSENKIRCHEN

Die Dabeigewesenen - Gelsenkirchen 1933–1945


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Von NS-Täter/innen, Profiteuren, Denunziant/innen, Schweigenden und Zuschauer/innen

Karl Wessel

Die Dabeigewesenen - Gelsenkirchen. Karl Wessel

Abb.1: Firmengründer Karl Wessel, Gelsenkirchen. Hauptsächlich mit der Ausbeutung von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter*Innen im so genannten "Dritten Reich" legte Kriegsgewinnler Karl Wessel den finanziellen Grundstock für ein umfangreiches Firmengeflecht und sein daraus resultierendes Vermögen.

Aus den lebensgeschichtlichen Erinnerungen der Gelsenkirchenerin Marlies Niehues († 2008):

Die Küche im Hof

"(...) Eine ähnlich dubiose Gestalt war für mich Karl Wessel, in der späteren Nachkriegszeit Träger des Bundesverdienstkreuzes, im NS u.a. Inhaber des Wessel-Eck im Hans-Sachs-Haus.

Ich kannte ihn aus Kriegszeiten, als er bei uns in Schalke eine sogenannte "Gemeinschaftsküche" für Zwangsarbeiter*Innen etc unterhielt. Kriegsgefangene und Zwangsarbeiterinnen aus Russland und der Ukraine putzten dort Gemüse, schleppten Kisten und Kessel, spülten Geschirr, wischten die Fußböden und wurden von Karl Wessel, dem Chef der Großküche dabei lauthals angebrüllt und manchmal auch brutal geprügelt.

Karl Wessel behandelte "seine" Zwangsarbeitenden äußerst brutal und gewalttätig, brüllte sie unaufhörlich an. Er soll sogar - was ich aber nur aus Berichten von Augenzeugen weiß - einen Russen mit bloßen Fäusten erschlagen haben, weil dieser sich aus Hunger einen Kappeskopp geklaut hatte.

So genanntes 'Ostarbeiterlager Wessel-Küche' in Gelsenkirchen-Schalke, Schalker Str. 166

Abb.2: Liste Unterkünfte während der Kriegsjahre 1940-1945 im Bezirk des Arbeitsamtes Gelsenkirchen, erstellt am 4. Mai 1949. Ausschnitt: Wessel-Küche, Schalker Str. 166

In Schalke wohnten wir mit 10 Familien in einem geräumigen fünfstöckigen Mietshaus von 1910, einem Doppelhaus mit 2 Hausnummern: Schalker Str. 163/165. Im Erdgeschoss waren eine Drogerie und ein Tapetengeschäft. Durch eine Toreinfahrt konnte man in den Hof des Hauses fahren. An seiner Rückseite, dem Wohnhaus gegenüber, in dem wir wohnten, stand ein dreistöckiges Gebäude mit einem Flachdach, darauf ein 6 m hoher runder Fabrikschornstein aus roten Mauerziegeln. Dort hatte in früheren Zeiten eine Wäscherei gearbeitet.

Im 2. Weltkrieg Krieg war im Hof in dem Wäschereigebäude eine "Gemeinschaftsküche", die vornehmlich "Essen" für viele Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter der Stadt Gelsenkirchen kochte. Ich konnte aus unserem Küchenfenster im 2. Stock beobachten, wie kleine Lieferwagen durch den Torweg fuhren, aus denen Kisten oder Berge von Gemüse ausgeladen oder einfach ausgekippt wurden: Weißkohl, Rotkohl, Steckrüben, Kartoffeln.

So genanntes 'Ostarbeiterlager Wessel-Küche' in Gelsenkirchen-Schalke, Schalker Str. 166

So genanntes 'Ostarbeiterlager Wessel-Küche' in Gelsenkirchen-Schalke, Schalker Str. 166

Abb.3 u. 4: Unbemerkt aus einem Fenster der Wohnung Niehues fotografiert: Die Wessel-Küche im Hof. (Privat)

Karl Wessel war massiger, hünenhafter großmäuliger Deutscher, der Gastwirt war. Er hatte u.a. auch in Alt-Gelsenkirchen ein Tanzlokal, wo Wehrmachtsurlauber und junge Leute gern saßen und sich Musik anhörten.

Dieser ungeschlachte Wirt trug zumeist ein wehrmachtsähnliches olivgrünes Outfit und schwarze Gamaschen-Stiefel, bei denen der Schuh und der Stiefelschaft nicht verbunden sind. Er rannte mit seltsam schaukelnden Schritten hin und her, schimpfte, donnerte und kostete seine Macht über "die slawischen Untermenschen" aus. Offensichtlich hielt er sich für einen "Herrenmenschen", und machte dabei einen recht debilen Eindruck.

War das "Essen" fertig gekocht, - eigentlich roch es immer wie Kappes-Suppe (Kapusta, diese Suppe wurde in der Wessel-Küche gerne mit Gras, Sägespäne oder Kartoffelschalen gestreckt) und sah auch so aus, weißlich-graue Brühe mit Gemüsebrocken und fauligen Kartoffeln darin, - wurde es in ein Meter hohe stabile Metallbehälter gefüllt, mit Henkeln daran zum Tragen, mit verschraubbaren Deckeln verschlossen und auf den Lieferwagen geladen, um zu den verschiedenen Gefangenenlagern gefahren zu werden. Der zurückbleibende Abfall und die Überreste verbreiteten stetig einen penetranten Gestank im Hof.

Die gemüseputzenden Frauen bei uns im Hof waren nette, robuste Mädchen aus Russland (das heutige Russland, die Ukraine und Weißrussland hießen damals alle drei zusammen für uns "Russland"). Sie mussten schwer arbeiten und wurden im 1. Stock über der Großküche untergebracht. Als sie zum erstenmal die Treppe hochsteigen wollten, waren sie ratlos. Ich sah aus unserem Küchenfenster, wie sie das Problem bewältigten: auf allen Vieren! - Einige von ihnen wurden später in "kinderreiche" Familien (4 und mehr Kinder) geschickt, als Hilfe im Haushalt und als Kinderfrau für die Kleinen."


Andreas Jordan, Projektgruppe STOLPERSTEINE Gelsenkirchen. November 2017.

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