STOLPERSTEINE GELSENKIRCHEN

Die Dabeigewesenen - Gelsenkirchen 1933–1945


Stolpersteine Gelsenkirchen

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Von NS-Täter/innen, Profiteuren, Denunziant/innen, Schweigenden und Zuschauer/innen

Die Gelsenkirchener Künstlersiedlung Halfmannshof
und deren Wirken in der Zeit des Nationalsozialismus

Von Anfang an war der Halfmannshof ein Anlaufpunkt auch für die überregionale NS-Prominenz und wurde zudem immer wieder gerne als Tagungsort von von Parteiorganisationen, aber auch von der Stadtverwaltung genutzt. Aber auch auf Frauenverbände übte die Künstlersiedlung als Tagungsort eine besondere Anziehungskraft aus. Nachdem dort bereits die NS-Frauenschaft weilte, folgte die "Ortsgruppe" des "Verbandes Deutsche Frauenkultur", die dort eine Versammlung abhielt, bei der auch Kinder mitgebracht werden konnten. Die "Amtswalterinnen" des "Deutschen Frauenwerks" hingegen besuchten auf Veranlassung ihrer Schulungsleiterin den Halfmannshof, um diese an das "Kunstschaffen" heranzuführen. So entwickelte sich die Künstlersiedlung zu einer öffentlichen Bildungs- und Freizeiteinrichtung, was ganz dem Sinn der vom Regime propagierten Volksgemeinschaft entsprach.

Für die Stadtverwaltung war ein Arbeitsbesuch, wie der im jahr 1940, ein für alle sichtbares Zeichen der engen Verbundenheit der Stadt mit ihren Künstlern. Im Anschluss an die Besichtigung einer Gebäudeerweiterung, fand in den neuen Räumen unter Leitung von Oberbürgermeister Böhmer eine Beigeordnetenkonferenz statt. Die Künstlersiedlung war also keinesfalls eine Ansammlung weltfremder Schöngeister, sondern ein fester Bestandteil der nationalsozialistischen Kulturpolitik. Sie diente als Schau- und Schulungsstätte, ohne das deren Bewohner gegen diese Art der Nutzung Einwände erhoben hätten. Im Gegenteil, man genoss gradezu diesen Status. Auf dem Halfmannshof und durch dessen Bewohner wurde somit nicht ausschließlich Kunst, sondern auch Politik gemacht.[1]

Mit der Machtübergabe an die Nationalsozialisten setzte allmählich auch die Aufrüstung ein. Von der Aufrüstung profitierten neben Militär und Rüstungsindustrie auch die Künstler des Halfmannshofs. Josef Arens stellte sich schon früh in den Dienst der nationalsozialistischen Sache, so erhielt er 1935 einen für sein weiteres Schaffen außerordentlich wichtigen Auftrag - und zwar von der Friederich Krupp AG in Essen, dem Renommierbetrieb in der Rüstungsindustrie überhaupt. Es entstand eine lithografische Blattfolge unter dem Titel "Kruppsche Geschütze". Dieser Auftrag sollte Arens darüber hinaus die Tür zu einem exclusiven und einflussreichen Kundenkreis eröffnen und zwar über die der Nachkriegszeit hinaus. 1937 schloß Arens eine Arbeit über die Flaktruppe der Wehrmacht ab, Titel "Flak exerziert". Am 5. Dezember 1937 wurde die Ausstellung "Flakartillerie im Manöver" auf dem Halfmannshof eröffnet.[2]

Aber Arens war nicht der einzige Künstler des Halfmannshofs, welcher der Aufrüstung diente und an ihr verdiente. Auch Bildhauer Hubert Nietsch, Schöpfer des monumentalen Ehrenbürgerbriefs für Hitler, beteiligte sich erfolgreich an dieser Phase der deutschen Vorkriegsgeschichte. 1936 wurde dann das fünfjährige Bestehen der Künstlersiedlung zelebriert. Die Vorbereitungen zum Hof-Jubiläum wurden, wie die National-Zeitung ausdrücklich betonte, im "engsten Einvernehmen mit den Gliederungen der Partei" durchgeführt. Und die Gelsenkirchner Zeitung schrieb wissend: "Wer den Halfmannshof und seine Insassen kennt, weiß auch um den Geist, der sie eint."[3]

Zu den Künstlern des Halfmannshof, die nicht zur Wehrmacht eingezogen wurden, gehörten die Architekten Ludwig Schwickert, Otto Prinz und Ferdinand Mindt, der den Hof 1937 wieder verließ, ihm aber verbunden blieb. Prinz und Schwickert hatten als Bauleiter von Rüstungsprojekten auch mit dem Einsatz von KZ-Gefangenen und Zwangsarbeitern direkt zu tun. Die Architekten des Halfmannshofs waren nicht nur in Deutschland für den "Endsieg" im Einsatz, sondern auch in den besetzten Gebieten, wie beispielsweise Ferdinand Mindt. Von Juni 1942 bis Juni 1945 war er als Bauleiter für die Gelsenkirchener Firma Kamp u. Co KG für Bautätigkeiten bei Drontheim im deutsch besetzen Norwegen tätig[4]

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Schlussbetrachtung: Die Künstler des Halfmannshof und die politische Anpassungsfähigkeit

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten versuchten auch die Halfmannshöfer in unterschiedlicher Ausprägung von den neuen Verhältnissen zu profitieren. So gelang es drei der vier Gründungsmitglieder noch vor der Aufnahmesperre im Mai 1933 in die NSDAP einzutreten, wohingegen andere erst wieder 1937 aufgenommen werden konnten.

Daneben gab es Personen, die Funktionen im Kulturbetrieb ausübten, bzw. in der Öffentlichkeit für den Nationalsozialismus agierten. So wie Nietsch als Obmann für die Reichskammer der bildenden Künste in der Kreiskulturkammer Gelsenkirchen und als Mitglied des Beirats für kulturelle Angelegenheiten der Stadt Gelsenkirchen, wie Prinz, als Kreisbeauftragter der Reichskammer der bildenden Künste und Kreiskultur- wart der NSDAP des Kreises Emscher-Lippe, oder wie Denneborg, der in einer Propagandakompanie in der Sowjetunion "antibolschewistische Aufklärungsarbeit" verrichtete. Wieder andere, nämlich die Architekten, kamen während des Krieges unmittelbar mit den verbrecherischen Seiten des Regimes in Kontakt, indem sie als Bauleiter auch KZ-Häftlinge beschäftigten.

In diesem Zusammenhang stellt man sich immer wieder die Frage, wieso taten diese Personen die geschilderten Dinge und stellten sich den Nationalsozialisten zur Verfügung, waren es doch Künstler, die alle Studienaufenthalte im europäischen und außereuropäischen Ausland absolvierten und so auch die Vorzüge anderer Kulturen kennenlernten?

Das auch die wirtschaftlichen Verhältnisse eine Rolle für die Nähe zum Nationalsozialismus gespielt haben könnten, legt die Einschätzung des wohl bekanntesten NS-Künstlers, des Bildhauers Arno Breker nahe. "Die wirtschaftliche Not und der Kampf um die nackte Existenz trieb die Künstler in die Arme jener, die ihnen nicht nur eine gesicherte Existenz, sondern drüber hinaus Anerkennung ihrer Arbeit in Aussicht stellten." Die politische Anpassungsfähigkeit hatte der Schriftsteller Klaus Mann, der, wie sein Vater, Nobelpreisträger Thomas Mann, ebenfalls im Exil lebte, exemplarisch für viele Künstler in der NS-Zeit am Beispiel der Schauspielers Gustav Gründgens in seinem Roman "Mephisto" beeindruckend dargestellt.

In diesem Zusammenhang kann auch die im Titel dieser Studie formulierte Frage, ob Kunst nach Brot geht, mit der Bemerkung beantwortet werden: "Ja, aber...!" Wir wissen, dass die Halfmannshöfer öffentliche Aufträge für die Stadt, die Partei und die Wehrmacht ausführten, aber wir wissen nicht wie hoch dieser Anteil an ihrem gesamten Auftragsvolumen war.[5]

Quellen: [1] Holger Germann; Geht Kunst nach Brot? Die Gelsenkirchener Künstlersiedlung Halfmannshof und deren Wirken in der Zeit des Nationalsozialismus. Schriftenreihe des Instituts für Stadtgeschichte, Materialien, Band 10. S. 149-150
[2]Ebda., S.45-46
[3]Ebda., Vgl. S. 99-136
[4]Ebda., Vgl. S. 99-136
[5]Ebda., S. 149-150

 

Drei neue Plastiken des heimische Bildhauers Nietsch

Abb.: Nationalzeitung vom 20.6. 1937: "Arbeiter, Bauer und Soldat
Drei neue Plastiken des heimische Bildhauers Nietsch / Ein wirkungsvoller Schmuck am Bahnhofsvorplatz während des Gautreffens"

Abschrift des zugehörigen Artikels:

Erst kürzlich berichteten wir über ein neues Werk des Gelsenkirchener Bildhauers Pg. [sic!] Parteigenosse Nietsch von der Künstlersiedlung Halfmannshof, das einen zwei Meter großen knienden Bogenschützen im Anschlag darstellt, der für die Jägerkaserne in Arnsberg bestimmt ist. Heute können wir weitere interessante Einzelheiten aus dem emsigen Schaffen dieses Gelsenkirchener Bildhauers mitteilen, der in den letzten Jahren vornehmlich durch die künstlerische Ausgestaltung Kasernenbauten des neuen Deutschland bekannt geworden ist. Bei Bildhauer Nietsch wird ein Wort Dr. Goebbels in sichtbarer Weise Wahrheit, dass der Staat der wohlwollende Mäzen aller Künstler sein müsse. Kunst kann weder befohlen, noch in starre Formen gepresst werden. Das schließt jedoch nicht aus, sondern bedeutet sogar die Forderung, dass den jungen Künstlern Aufgaben gestellt werden, mit deren Lösung Verwirklichung sie den geist und die Haltung der Epoche gestalten, in der sie leben.

So erhielt der Bildhauer Nietsch vor einiger Zeit einen neuen ehrenvollen Auftrag. Es handelt sich bei diesen neuen Arbeiten um die künstlerische Ausgestaltung der Kasernen für die Nachrichtentruppen. So hat der Gelsenkirchener Künstler für das Wirtschaftsgebäude dieser Kasernen in der Werkstatt der Westfalia-Keramik, Inhaber Schmitz-Hohenschutz, Dessauer Straße, drei Plastiken hergestellt, den Kopf eines Arbeiters, Bauern und Soldaten.

Arbeiter, Bauer und Soldat, das sind die Grundpfeiler des neuen Staates, die der Nationalsozialismus zu gemeinsamem Schaffen für Deutschland auf einer Ebene zusammengeführt hat. Der Arbeiter trägt als Symbol einen Hammer, der Bauer als Zeichen der Fruchtbarkeit einen Ähre und zwischen diesen beiden steht als beider Schutz der deutsche Soldat.

In technischer Hinsicht mögen über die Anfertigung der drei Plastiken folgende Einzelheiten von Interesse sein. Die Köpfe wurden zunächst modelliert. Danach erfolgte die Anfertigung einer negativen Keilform. Auf diese Keilform wurde das Positiv ausgedrückt. Der aus Klinkerton fertig ausgeformte Kopf wurde dann bei einer Hitze von 1300 Grad im Ofen gebrannt. Jeder Kopf hat das respektable Gewicht von etwa zwei Zentner.

Die Plastiken sind jetzt fertig gestellt und werden demnächst an ihrem Bestimmungsort abgeliefert. Das Heeresbauamt Bielefeld hat sich in liebenswürdiger Weise bereit erklärt, die Köpfe noch bis nach dem Gautreffen in Gelsenkirchen zu belassen.

Wie wir hierzu von unterrichteter Seite erfahren, sollen die Plastiken am kommenden Samstag und Sonntag auf 1,60 Meter großen Holzpostamenten auf der Grünanlage vor unserem Bahnhof aufgestellt werden.

Wir sind gewiß, dass sie gerade hier während des Gautreffens einen wirkungsvollen Schmuck abgeben werden und die besondere Aufmerksamkeit der Zehntausende von Gästen aus dem gesamten Gaugebiet Westfalen-Nord finden sollten. Neben der brennenden Grubenlampe als Wahrzeichen der größten Kohlenstadt des Kontinents die mit künstlerischem Können gestalteten Köpfe des Arbeiters, Bauern und Soldaten, drei verschiedene Begriffe, aber eine mit Kraft geballte Einheit, die zusammen das neue Deutschland verkörpern. Arbeiter, Bauern und Soldaten, von ihren Schritten werden die Straßen unserer Stadt der Arbeit am Gautreffen widerhallen.

Vgl. hierzu auch: Dokumentationsstätte "Gelsenkirchen im Nationalsozialismus", Katalog zur Dauerausstellung, Schriftenreihe des Instituts für Stadtgeschichte, Materialien, Bd. 5, Essen, 2000., S. 78


Andreas Jordan, Projektgruppe STOLPERSTEINE Gelsenkirchen. August 2017.

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