STOLPERSTEINE GELSENKIRCHEN

Ausgrenzung erinnern


Stolpersteine Gelsenkirchen

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HIER WOHNTE

Verlegeort WERNER DE VRIES

JG. 1908
DEPORTIERT 1942
RIGA
1944 STUTTHOF
BEFREIT/ÜBERLEBT

Verlegeort: Arminstraße/Höhe Kurt-Neuwald-Platz

Der gelernte Goldschmied Werner de Vries, geboren am 12. März 1908 in Oberhausen, war als jüdischer Deutscher schon bald nach der Machtübergabe an die Nazis der Ausgrenzung, Diskriminierung und Verfolgung ausgesetzt. Über sein Leben bis zur so genannten "Kristallnacht" wissen wir nichts. Am 10. November 1938, dem Morgen nach dem Höhepunkt der Progromwoche, wurde er von der Gestapo festgenommen und blieb bis zum 19. November 1938 in Haft.

Bereits ab Sommer 1938 war Juden die selbständige Berufsausübung gesetzlich verboten. Arbeitslosigkeit und Armut unter der jüdischen Bevölkerung stiegen enorm an. Ziel der politischen Maßnahmen war es, Jüdinnen und Juden „auf vielfältige Weise zu diskriminieren und zu isolieren, um sie aus Deutschland zu vertreiben“[1].

Die rassistische Kategorisierung der Bevölkerung, zusammen mit den forcierten Kriegsvorbereitungen des NS-Staates, schuf die Voraussetzungen für die Verordnung des „Geschlossenen Arbeitseinsatzes“ deutscher Juden und war die erste durchgreifende Zwangsmaßnahme zur organisierten Ausnutzung jüdischer Arbeitskraft. Der so genannte „geschlossene Arbeitseinsatz“ von Juden bedeutete in der Regel Zwangsarbeit in separierten Kolonnen. Diese Arbeitskräfte wurden Betrieben oder staatlichen Institutionen nicht aufgezwungen, sondern mussten beantragt werden.[2] Davon betroffen war auch Werner de Vries, 1939 wurde er zur Zwangsarbeit auf einer Zeche verpflichtet.

Mit dem ersten Deportationstransport, der Gelsenkirchen am 27. Januar 1942 Richtung Riga verließ, wurde auch Werner de Vries und seine Freundin Lieselotte Elikan verschleppt. [3] Auf einer letzen Postkarte, geschrieben im so genannten "Judensammellager" an der Wildenbruchstraße, schreibt Werner de Vries am Tag vor der Deportation: "Liebe Marianne, ein letztes Lebewohl von der Ausstellungshalle aus, wo wir gesammelt wurden, senden Dir Werner und Lilo. Morgen, Donnerstag 27ten geht’s vom Bahnhof ab. Wahrscheinlich nach Riga. Vielleicht sehen wir uns dort wieder, sonst sind wir gesund und munter. Viele Grüße noch mal, Werner.[4]

Am 1. Februar 1942 erreichte der Deportationstransport den Bahnhof Skirotava in Riga. Zunächst im Ghetto Riga, nach dessen Auflösung im KZ Kaiserwald inhaftiert, muss Werner de Vries in verschiedenen, so genannten "Kasernierungen" in Riga Zwangsarbeit verrichten, unter anderem im dortigen Truppenwirtschaftslager (TWL) der SS. Mit dem Vorrücken der Roten Armee werden die KZ-Häftlinge im Herbst 1944 per Schiff von Riga in das KZ Stutthof bei Danzig gebracht. Werner de Vries erlebte seine Befreiung durch die Rote Armee am 10. März 1945 auf einem der berüchtigten Todesmärsche bei Lauenburg/Pommern und kehrte im Sommer 1945 als einziger Überlebender seiner Familie nach Gelsenkirchen zurück.

Seinen Leidensweg deutet ein Brief an, den Werner de Vries am 8. Juli 1946 an Marianne, eine Halbschwester seiner Freundin Lieselotte Elikan schrieb:



Brief von Werner de Vries,vom 8. Juli 1946





Brief von Werner de Vries,vom 8. Juli 1946
„Liebe Marianne,
Heute am 8ten Juli kam mein Gelsenkirchener Schulkamerad Joseph Ippel zu mir und zeigte mir Deinen lb. [lieben] Brief. Ich war sehr überrascht, denn ich hatte nicht geglaubt, dass Du, lb. Marianne, noch lebst. Ich bin sehr, sehr froh, von Dir ein Lebenszeichen zu bekommen; leider, leider habe [ich] von Lilo seit fast 2 Jahren nichts mehr gehört. Wir kamen am 20ten Januar 1942 nach Riga, wo Lilo und ich im Truppenwirtschaftslager der Waffen SS kaserniert wurden. Lilo kam in die Marketenderei [Küche oder Verpflegungsstation], wo sie es sehr gut hatte, und ich in die Autoschlosserei, als Autoschlosser und Uhrmacher. Wir hatten es beide verhältnismäßig gut, waren nie krank und hatten immer zu essen. Im Oktober 44 wurde Riga von den Russen bedroht und geräumt. Mit dem letzten Schiff verließen wir Riga und kamen nach Danzig-Stutthof, wo wir zum ersten Mal getrennt wurden. Es war ein großes Lager von 40000 Menschen. Ich schmuggelte noch ein Briefchen ins Frauenlager, worin ich Lilo riet, sich möglich[st] schnell kasernieren zu lassen, sehen konnten wir uns ganz selten und dann nur von weitem. Ich wurde dann nach Danzig in eine große U-Boot Werft abkommandiert.
Als die Russen dann Danzig stürmten, trieb man uns nach Lauenburg in Pommern, wo wir dann am 10ten März 1945 von den Russen befreit wurden. Leider lebten nicht mehr viel[e] von uns. Ich hoffte immer noch mal Lilo irgendwo zu treffen oder irgendeine Bekannte von ihr, aber es war vergebens. Es war keine Frau von Danzig-Stutthof zu treffen. 3 Monate wartete ich in Lauenburg, da dort fast alles von Danzig kam, aber es war keine bekannte Frau dabei. Dann fuhr ich nach Gelsenkirchen, da ich mit Lilo ausgemacht hatte, wenn wir getrennt werden und leben bleiben, treffen wir uns in Gelsenkirchen wieder, aber nach so langer Zeit, habe [ich] alle Hoffnung auf ein Wiedersehen aufgegeben. Auch meine Eltern, meine Brüder mit Frauen sind nicht mehr zurückgekehrt. Wo bist Du während der Jahre gewesen? Hast Du noch ein Bild von Lilo? Es wäre mir eine große Freude, wenn ich wenigstens ein Bild von ihr hätte. was treibst Du jetzt, schreibe mir bitte sofort, vielleicht kann ich Dir in irgendeiner Weise helfen. Meine Adresse ist Werner de Vries, Gelsenkirchen, Bahnhofstr.66.
Also Marianne, recht viele Grüße, Werner de Vries

Abb. 6: Werner de Vries schreibt am 8. Juli 1946 an Marianne Elikan [5]

Quellen:
[1] Vgl. Wolf Gruner: Der Geschlossene Arbeitseinsatz deutscher Juden. Zur Zwangsarbeit als Element der Verfolgung 1938–1943. Berlin: Metropol 1997
[2] Frankfurt/Main 1933-1945, Zwangsarbeit von Juden im „geschlossenen Arbeitseinsatz“ http://www.ffmhist.de/ffm33-45/portal01/portal01.php?ziel=t_jm_jued_zwangsarbeit (Abruf August 2013)
[3] Listenmaterial der Jüdischen Kultusgemeinde v. 4.6.1946, betr. Deportation v. 27.1.1942. StA Gelsenkirchen, ISG
[4]Letzte Postkarte aus dem "Judensammellager" in Gelsenkirchen, Privatbesitz Marianne Elikan.
[5] Brief von Werner de Vries, datiert auf den 8. Juli 1946, Privatbesitz Marianne Elikan
Einwohnerkartei, StA Gelsenkirchen, ISG
WGM, Sign. 933 u. 945, StA Gelsenkirchen, ISG

Biografische Zusammenstellung: Andreas Jordan, Projektgruppe STOLPERSTEINE Gelsenkirchen. September 2013

Stolperstein für Werner de Vries, verlegt am 17. Dezember 2013

Die Patenschaft für den Stolperstein haben Robert Heidenreich, Jenny Högemeier, Andreas und Heike Jordan übernommen.

Stolpersteine Gelsenkirchen - Lieselotte Margot Elikan und Werner de Vries

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Stolpersteine Gelsenkirchen - Lieselotte Margot Elikan und Werner de Vries


Projektgruppe STOLPERSTEINE Gelsenkirchen. Editiert Dezember 2013

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