Abb. 1: Petrus Gustav Droessaert
Petrus-Gustav Droessaert wurde am 27. Dezember 1898 in der belgischen Stadt Gent geboren. Der gelernte Schlosser war mit der am 5. Mai 1900 ebenfalls in Gent geborenen Florentina, geborene Aerents verheiratet, die Ehe wurde nach dem 30. Januar 1941 geschieden.
Petrus Droessaert war in dem Zwangsarbeiterlager der Gelsenkirchener Bergwerks AG (GBAG), Gruppe Gelsenkirchen, Zeche Nordstern an der Bruchstrasse in Gelsenkirchen-Heßler interniert. Wann und wie Petrus Droessaert nach Gelsenkirchen kam, ist bisher nicht bekannt. Bei einem schweren Bombenangriff auf Gelsenkirchen am 1. Mai 1943, bei dem auch dieses Lager von Bomben getroffen wurde, erlitt Petrus Droessaert schwere Verbrennungen. Er wurde in das Horster St. Josef Krankenhaus eingeliefert und starb dort am 5. Juni 1943 an den Folgen der erlittenen Verletzungen. [1,2]
Exkurs: Freiwillige Zwangsarbeit?
Nach der schnellen Eroberung der Niederlande, Belgiens und Frankreichs im Frühjahr und Sommer 1940 wurden hauptsächlich aus Belgien (ca. 65.000) und Frankreich (ca. 1,3 Mio) Kriegsgefangene der deutschen Rüstungsindustrie und Landwirtschaft zur Verfügung gestellt. Während der Reichskommissar für die Niederlande hinsichtlich der Zivilisten ab Februar 1941 sich bis Herbst 1944 immer mehr verschärfende Zwangsmaßnahmen zum Arbeitseinsatz traf, setzten die Besatzer in Belgien und Frankreich vorwiegend auf freiwillige Meldungen von Arbeitswilligen. Mit den belgischen Behörden wurde im Juni 1940 sogar eine Übereinkunft getroffen, daß Belgier nicht zum Arbeitseinsatz in Deutschland gezwungen und Freiwillige nicht in der Rüstungsindustrie eingesetzt würden, an die sich die deutsche Verwaltung allerdings nur bis 1942 hielt. Auf diese Weise gelangten bis zum Frühjahr 1941 ca. 189.000 Belgier als freiwillig verpflichtete Arbeitskräfte nach Deutschland. Ein Jahr später wurde die Arbeitspflicht eingeführt. Nun konnten jeder Mann zwischen 18 und 50 Jahren und jede unverheiratete Frau zwischen 21 (später 18) und 35 Jahren zur Arbeit im Reich zwangsverpflichtet werden. Zuletzt wurden ganze Geburtsjahrgänge dienstverpflichtet. Die Zahl der im Deutschen Reich arbeitenden Belgier betrug im Gesamtzeitraum des Zweiten Weltkriegs ca. 375.000, die der Niederländer etwa 475.000 Personen. [3]
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Abb. 2: Vermerk in den Akten des St. Josef-Hospital in Gelsenkirchen-Horst zum Tod von Petrus Droessaert. Demnach soll der Verstorbene zunächst auf dem Horster Süd-Friedhof bestattet worden sein.
Lagerkomplex Brink-/Bruchstrasse
Es war das größte Lager für Kriegsgefangene und so genannten "Zivilarbeiter" in Gelsenkirchen. Der Standort des Lagerkomplexes Brink-/Bruchstrasse war nicht zufällig gewählt worden, lag er doch in unmittelbarer Nähe der Werke der GBAG: Zeche Nordstern I/II und der 1937 wiedereröffneten Förderanlage Nordstern III/IV sowie dem Hydrierwerk (Gelsenberg Benzin AG). So waren in diesem Fall kurze Fußmärsche der Sklavenarbeiter zu Arbeits- und Einsatzorten gewährleistet.
Im September 1942 war der Ausbau des Lager weitestgehend abgeschlossen, das Gesamtlager bot nun Platz für rund 4.000 Sklavenarbeiter. Der Lagerkomplex bestand aus insgesamt 54 Baracken, aufgeteilt in 40 Wohnbaracken und 14 Wirtschafts-, Wasch- und Wachbaracken. Wie in allen großen Lagern, waren die Bereiche für sowjetische Kriegsgefangene (Brinkstrasse) und "Ostarbeiter" mit Stacheldrahtzäunen von den anderen Lagerbereichen abgetrennt. Bei den Luftschutzbehörden stieß der großflächige Ausbau des Lagers allerdings zunehmend auf Bedenken, da dass Lager aufgrund seiner regelmäßigen Anordnung links und rechts des Kanals bis fast zur Schleuse 4 aus der Luft für alliierte Aufklärer und Bomberverbände leicht auszumachen war. Die Bedenken des Luftgaukommandos VI erwiesen sich als richtig, am 1. Mai 1943 und 13. Juni 1944 wurde der Lagerkomplex schwer von Bomben getroffen, was viele Tote unter den Sklavenarbeitern zur Folge hatte.
Zwangsarbeiter*Innen: Dem Bombenhagel schutzlos ausgeliefert
Abb.3: Zwangsarbeiterlager Brinkstraße u. Bruchstraße (Südlich des Kanals) in Gelsenkirchen, 1944. Getrennt wurden die Lager durch den Rhein-Herne-Kanal. In der oberen Bildmitte das Werksgelände der Gelsenberg Benzin AG
Ein dichtes Netz von Zwangsarbeiterlagern überzog zwischen 1940-1945 auch die Ruhrgebietsstadt Gelsenkirchen. Zumeist bestanden diese Lager aus geometrisch angeordneten, dürftig ausgestatteten einfachen Holzbaracken, in denen Zwangsarbeiter*innen, geordnet nach Nationalität und Herkunftsland, interniert waren.
Großunternehmen unterhielten eigene Lager, teilweise auch mit eigenen Wachpersonal. Die gesamte Industrie, die Zechen, die Landwirtschaft, Kommunalverwaltung und auch Privathaushalte waren am System der Zwangsarbeit und der damit verbundenen Ausbeutung beteiligt. Die Belegungszahlen je Lager reichten von 20 bis zu über 2000 Personen. Untergliedert waren die Lager in ZAL – Zivil- oder Zwangsarbeiterlager, KGF – Kriegsgefangenenlager, AEL – Arbeitserziehungslager und OT – Lager der Organisation Todt. In Gelsenkirchen kam ein Außenlager des KZ Buchenwald, NS-Bezeichnung "SS Arb. Kdo. K.L. Buchenwald, Gelsenberg Benzin AG, Gelsenkirchen-Horst" hinzu. Die Kolonnen der Zwangsarbeitenden wurden zumeist unter den Augen der Zivilbevölkerung von ihren Bewachern am Morgen über öffentliche Straßen zu den Arbeitstätten getrieben, Abends ging es den gleichen Weg zurück zu den Lagern. Mitunter stellte die BoGeStra (Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen AG) für den Transport der Zwangsarbeitenden Straßenbahnwagen zur Verfügung. Das alles ist niemandem verborgen geblieben.
Exkurs: Zu Ende, aber nicht vorbei - Der Umgang mit der NS-Zwangsarbeit nach 1945
Nach 1945 verweigerten Staat und Wirtschaft Jahrzehntelang eine Entschädigung für ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Die Auseinandersetzung mit NS-Zwangsarbeit setzte erst sehr spät ein. Erst in den 1980er Jahren begann sich die deutsche Öffentlichkeit langsam mit dem Thema zu beschäftigen. Individuelle Entschädigungszahlungen von Staat und Wirtschaft erfolgten ab dem Jahr 2000. Noch lebende ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter erhielten einen symbolischen Betrag ausgehändigt. Bis heute nicht entschädigt werden ehemalige sowjetische Kriegsgefangene und die so genannten "italienische Miliitärinternierten (IMI)"[5].
Von der Benutzung öffentlicher Luftschutzräume ausgeschlossen
Unzureichend wie die tägliche Versorgung mit Nahrungsmitteln und Unterbringung war auch der Schutz der Zwangsarbeitenden bei Bombenangriffen. Die am 18. September 1942 erlassene Luftschutzraum-Ordnung untersagte auch Zwangsarbeitenden den Zugang zu Luftschutzbunkern. Dies führte zu einer überproportional großen Zahl von Luftkriegstoten unter diesen Menschen. So finden sich beispielsweise auch auf dem Westfriedhof in Gelsenkirchen-Heßler mehrere so genannter Kriegsgräberstätten, eine davon ist das Gräberfeld 25. Auf diesem Feld sind vorwiegend belgische Zwangsarbeiter verscharrt worden, die meisten davon kamen bei einem Luftangriff am 1. Mai 1943 in einem Zwangsarbeiterlager der Gelsenberg Benzin AG an der Bruchstraße durch Bombeneinwirkung ums Leben.
Abb. 4: Letzte Ruhestätte von Petrus Gustav Droessaert auf dem Westfriedhof in Gelsenkirchen-Heßler, Feld 25.
Seine letzte Ruhestätte fand Petrus Droessaert auf dem bereits erwähnten Gräberfeld 25, in einem Doppelgrab mit dem ebenfalls aus Belgien stammenden Frans Nimmegeers. Dieser wurde am 1. Mai 1943 tot aufgefunden, ausweislich der Sterbeurkunde war die Todesursache: "Getötet durch Fliegerbombe". Ein Fundort wird nicht genannt.[4] Auch Nimmegeers war als Zwangsarbeiter bei der Gelsenberg Benzin AG.
Jüngst schrieb uns ein Mann aus Lovendegem in Belgien: "Meine Stiefmutter ist die leibliche Tochter von Petrus Droessaert, da Petrus am 30. Januar 1941 noch nicht geschieden war. Sie trägt den Namen ihrer Mutter Alice Leux. Alice Leux, wurde am 3. April 1910 in Gent geboren und starb dort 1972. In dem in Gent verfassten Nachruf wird Alice als Ehefrau von Petrus Droessaert erwähnt." Der Mann war im Internet auf eine Veröffentlichung des Gelsenzentrum e.V. aus dem Jahr 2009 gestoßen, die an den belgischen Zwangsarbeiter Petrus-Gustav Droessaert erinnert.
Biografische Zusammenstellung: Andreas Jordan, Oktober 2021
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