STOLPERSTEINE GELSENKIRCHEN

Ausgrenzung erinnern


Stolpersteine Gelsenkirchen

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HIER WOHNTE

Verlegeort ERNST ULLENDORF

JG. 1879
FLUCHT 1938
HOLLAND
INTERNIERT WESTERBORK
DEPORTIERT 1943
SOBIBOR
ERMORDET 20.3.1943

HIER WOHNTE

Verlegeort HANS-HEINRICH ULLENDORF

JG. 1910
FLUCHT 1939
WEST INDIEN

HIER WOHNTE

Verlegeort EMMA ULLENDORF

GEB. SAMASKEWITZ
JG. 1874
FLUCHT 1938
HOLLAND
INTERNIERT WESTERBORK
DEPORTIERT 1943
SOBIBOR
ERMORDET 20.3.1943

Verlegeort: Husemannstraße 33, Gelsenkirchen

Ernst Ullendorf

Abb.1: Ernst Ullendorf

Der Handlungsreisende Ernst Ullendorf wurde am 18. Januar 1879 in Berlin geboren. Er war mit der am 23. Oktober 1874 in Hohenstein geborenen Emma Samaskewitz verheiratet.

Das Ehepaar Ullendorf hatte zwei in Rotthausen geborene Kinder, die am 27. Dezember 1908 geborene Margarete, genannt "Marga" und den am 20. März 1910 geborenen Hans-Heinrich. Die Familie lebte zunächst an der Karl-Meyer-Straße 17 in Rotthausen [1], um 1930 an der Kampstraße 30 [2] (ab 1937 wurde Kampstraße in Beskenstraße umbenannt).

Ernst Ullendorf war in den Dreißiger Jahren zeitweilig Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen. [3] Tochter Margarete Ullendorf war mit Julius Koppel, geboren am 29. Dezember 1905 in Essen, verheiratet. Familie Koppel war bereits zu einem frühen Zeitpunkt aus Deutschland geflohen und lebte mit ihren Kindern in Amsterdam an der Diezestraat 37 I.

Todesanzeige Marga Koppel,1941

Abb.2: Todesanzeige für Marga Koppel am 2. Januar 1942 in 'Het Joodsche Weekblad'.

Das Ehepaar Julius Koppel hatte zwei in Amsterdam geborene Kinder, den am 4. Oktober 1938 geborenen Alfred und die am 11. Juni 1940 geborene Doris Malchen. Mutter Margarete starb am 23. Dezember 1941 an den Folgen einer Darmoperation im Alter von 33 Jahren in Holland. Julius Koppel wurde 1942 in das Ghetto Warschau deportiert und nach dem Krieg zum 31. Dezember 1943 für tot erklärt. Die Kinder Alfred und Doris Malchen wurden am 10. September 1943 in den Gaskammern von Auschwitz ermordet.

Emma Ullendorf, geborene Samaskewitz

Abb.3: Emma Ullendorf, geborene Samaskewitz

Im März 1933 zog Familie Ullendorf in die Hindenburgstraße 33, die heutige Husemannstraße. Ernst Ullendorf betrieb in dieser Wohnung ein Abzahlungsgeschäft für Herrenartikel, Anzüge und Stoffe. In der so genannten "Kristallnacht" am 9. November 1938 wurde auch die Wohnung der Ullendorfs und das darin befindliche Warenlager von den Nazi-Schergen zerstört. Ernst und Emma Ullendorf flohen Mitte Dezember 1938 unter dem Eindruck der Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung in die Niederlande.[4] In den Einwohnermeldeunterlagen ist die Abmeldung vermerkt: "20.12.1938 n. Amsterdam". [5] Dort lebten sie im Haushalt von Tochter Margarete und Schwiegersohn Julius Koppel in Amsterdam.

Auch das Ehepaar Ullendorf geriet schon bald nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in die Niederlande in die Mordmaschinerie der Nazis. Sie wurden verhaftet, im Camp Westerbork interniert, am 17. März 1943 nach Sobibor deportiert und dort am 20. März 1943 in der Gas- kammer ermordet. Einzig Sohn Hans-Heinrich überlebte, ihm gelang rechtzeitig die Flucht. Von einer Geschäftsreise nach Italien im Auftrag seines Arbeitgebers, der Firma Eisen Metall in Essen (vor der "Arisierung" Moses Stern AG) kehrte er nicht mehr nach Deutschland zurück. Über Holland und Frankreich floh Hans-Heinrich Ullendorf weiter nach "Britisch West-Indien" in die Karibik.[6] In der Einwohnerkartei findet sich der Eintrag zur Abmeldung: "28.2.1939 n. West-Indien". [7] Hans-Heinrich Ullendorf emigrierte später in die USA und lebte in New York.

Stolpersteine Gelsenkirchen

Abb.4: Einwohnermeldekartei Gelsenkirchen, Hans-Heinrich Ullendorf

Abb.5: Das nachstehende Dokument hat uns Hans-Heinrichs Sohn David Ullendorff 2022 übersandt: Ernst Ullendorf informiert 1942 per Telegramm seinen nach dessen geglückter Flucht aus Europa auf der Insel Guadeloupe lebenden Sohn Hans-Heinrich über den Tod seiner Schwester Marga. Hans-Heinrich antwortete: "Allerliebste Eltern, Hoffe, dass heutiges Telegramm erhaltet. Bin wohlauf und unverzagt. Haltet aus bis Kriegsende. Komme heim mit erstem Schiff. Herzinnige Grüesse und Kuesse Heinerle"- Die Hoffnung Hans-Heinrichs, seine Eltern "nach dem Krieg" wiederzusehen, sollte sich nicht erfüllen.

Stolpersteine Gelsenkirchen

Wie im vorstehenden Brief an seine Eltern 1942 versprochen kam Hans-Heinrich Ullendorff nach dem zweiten Weltkrieg mit dem ersten Schiff zurück nach Europa. Im kriegszerstörten Gelsenkirchen fand er dann das vor, was von seinem Elternhaus übriggeblieben war. Inmitten von Schuttbergen standen an der Husemannstr. 33 (Im NS Hindenburgstr. 33) nur noch einige Wände. Anhand der sich noch an einer der Wände befindlichen Fliesen erkannte Hans-Heinrich die Küchenfliesen der elterlichen Wohnung - der Wohnung, die einst Mittelpunkt seiner Lebenswelt gewesen war. Auch erfuhr er, dass seine Eltern Ernst und Emma Ullendorff einen gewaltsamen Tod im deutschen Vernichtungslager Sobibor erleiden mussten. Das berichtete uns sein Sohn David Ullendorff bei unserem Treffen Ende März 2023 in Gelsenkirchen.

Quellen:
[1] Adressbuch und Geschäftsanzeiger für die Bürgermeisterei Rotthausen 1908
[2] Wahlliste v. 16.11.1930 zur Gründung der liberalen jüdischen Synagogengemeinde, Stadtarchiv Gelsenkirchen 0 XXII 10 1
[3] Aussage von Grünberg, Gitta in einem Interview der USC Shoah Foundation v. 15. Februar 1998, Code 41132. Visual History Archive. USC Shoah Foundation. Transkript Freie Universität Berlin. 2012. Web. Abruf 5.12.2012. http://www.zeugendershoah.de
[4] WGMA Akte 1481 in Stadtarchiv Gelsenkirchen
[5] Stadtarchiv Gelsenkirchen, Einwohnermeldekartei
[6] WGMA Akte 918 in Stadtarchiv Gelsenkirchen
[7] Stadtarchiv Gelsenkirchen, Einwohnermeldekartei
David Ullendorff
Gedenkbuch Bundesarchiv
joods.nl
ancestry.com
Yad Vashem, List of murdered Jews from the Netherlands found in In Memoriam - Nederlandse oorlogsslachtoffers, Nederlandse Oorlogsgravenstichting (Dutch War Victims Authority), `s-Gravenhage (courtesy of the Association of Yad Vashem Friends in Netherlands, Amsterdam).
Abb. 1,3: HStA Düsseldorf, RW 58,67591. Auch in ISG: Katalog zur Dauerausstellung "Gelsenkirchen im Nationalsozialismus", 2000.
Abb.2: Het Joodsche Weekblad, 2 Januar 1942
Abb.4: Institut für Stadgeschichte, Gelsenkirchen
Abb.5: Rotkreuzbrief aus Privatbesitz der Familie, mit freundlicher Genehmigung von David Ullendorff

Biografische Zusammenstellung: Andreas Jordan. Projektgruppe STOLPERSTEINE Gelsenkirchen. Januar 2013. Editiert 4/2023

Stolpersteine für Ernst, Emma und Hans-Heinrich Ullendorf, verlegt am 12. Dezember 2014

Familie Ullendorf


Projektgruppe STOLPERSTEINE Gelsenkirchen. Nachtrag Dezember 2014

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