Abb.1: Letzte Reise in das heimatliche Schtetl Rozniatow. Links, sitzend Leo Jampel, daneben Malka und Ben-David Jampel. In der Mitte hinten zwischen den Zwillingsbrüdern Salo und Hermann steht Rochale, die Großtante von Ruth Jampel.
Kaufmann Leo Jampel, geboren am 19. August 1899 in Rozniatow/Galizien heiratete 1922 die ebenfalls in Rozniatow am 17. Dezember 1902 geborene Anna Stern. Das Ehepaar Jampel bekam Zwillingsöhne, am 19. Januar 1925 wurden Salo und Hermann in Gelsenkirchen geboren.
Familie Jampel zog 1932 von der Gartenstraße 38 (Heutige Breslauer Str.) in die Schalker Straße 156. Im gleichen Haus betrieb das Ehepaar Jampel ein florierendes Schuhgeschäft.
Die Zwillinge Salo und Hermann Jampel waren ab Ostern 1936 Schüler am Städtischen Realgymnasium (ab 1937 Grillo-Oberschule), dem heutigen Grillo-Gymnasium. Besonders Hermann war dort vielschichtigen antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt.
Abb.1: Im Schuhgeschäft Jampel, rechts stehen die Zwillinge Salo und Hermann, auf der linken Seite steht Leo Jampel, sitzend neben ihm Ehefrau Anna, die anderen Personen sind Angestellte. (Foto: Familie Jampel)
Abb.2: Schuhgeschäft Jampel, Schalker Straße 156, Ecke Grillostraße. Auf der linken seite das Geschäft der Gebrüder Goldblum (Foto: Sammlung Karlheinz Weichelt)
Jüdische Schüler am Städt. Realgymnasium
Mit der Machtübergabe an die Nazis am 30. Januar 1933 begannen auch die "Veränderungen" im Schulalltag. So mussten die Schüler jeden Montagmorgen mit ausgestrecktem Arm strammstehen, während die Hakenkreuzfahne gehisst wurde. Danach mussten die beiden "Nationalhymnen", das "Deutschlandlied" und das "Horst Wessel-Lied", von den Versammelten intoniert werden. "Heil Hitler" wurde zum offiziellen Gruß - auch in den Schulen. Nach Hindburgs Tod 1934 wurden dessen Porträts in den Schulen durch solche von Adolf Hitler ersetzt. Zu dessen Reden an "das deutsche Volk" wurde der Unterricht unterbrochen. In der Aula versammelten sich Schüler und Lehrer, um der Rundfunkübertragung zuzuhören. Die Nazi-Ideologie fand zunehmend Eingang in den Schulunterricht. Lehrer drängten "arische" Schüler zum Eintritt in NS-Jugendorganisationen.
Jüdische Schülerinnen und Schüler erlebten täglich den nun staatlich geschürten Antisemitismus in den Schulen und von Seiten vieler nicht-jüdischer Lehrer. Die Diskriminierungen, Kränkungen und Benachteiligungen der jüdischen Jugendlichen sind ein Erfahrungshintergrund, den viele der Überlebenden schildern. Viele von ihnen mussten in der folgenden Zeit die schmerzliche Erfahrung machen, dass ihre "arischen" Schulfreunde sich von einem Tag auf den anderen von ihnen abwandten und plötzlich feindselig oder gar aggressiv reagierten. Auch in den Bildungseinrichtungen war die Etablierung einer Ausgrenzungsgesellschaft angekommen.
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Die Brüder Jampel wurden - wie fast alle ihrer jüdischen Klassenkameraden zuvor - vom Städtischen Realgymnasium verdrängt, ihre "Abgangszeugnisse" datieren auf den 30. November 1938. Die Zwillinge Jampel waren neben Ernst Back und Fredy Diament die letzten jüdischen Schüler, die 1938 diese Schule verlassen mussten.
Auch das Schuhgeschäft der Familie Jampel wurde in der Pogromwoche im November 1938 zerstört. Ein Zeitzeuge: "Wir gingen am 10. November wie üblich zur Schule - Bismarck-Schule I - an der Laubstraße. Dort angekommen, wurden wir geschlossen von unserem Lehrer in Richtung Stadtmitte geführt. Am Schalker Markt, Ecke Gewerkenstraße, waren die Schaufenster der jüdischen Geschäfte eingeschlagen. Auf der Schalker Straße, Ecke Grillostraße, schlugen bestellte Leute - unter lautem Gejohle - die Schaufenster des Schuhgeschäftes Jampel ein. Wir gingen weiter über die Schalker Straße. (...)"
Abb.3: Anzeige in der Gelsenkirchener Allgemeine Zeitung vom 18. Dezember 1938. Warum der 'neue Inhaber' Richard Drewer in der Anzeige den Zusatz 'früher Schuhhaus Jampel' drucken ließ, bleibt im Dunkeln.
Anna Jampel wurde in der Pogromwoche schwer misshandelt und lebte seiher völlig zurückgezogen. Nicht zuletzt unter dem Eindruck der Geschehnisse in der Pogromwoche stehend, bemühte sich die Familie Jampel intensiv um Visa, Jampels wollten so schnell wie möglich Nazi-Deutschland verlassen.
Das Schuhgeschäft wurde der Familie staatlich legitimiert geraubt. Für die wirtschaftliche Ausplünderung der jüdischen Bevölkerung schufen die Nazis den Begriff "Arisierung". Das Geschäft wurde im Dezember 1938 unter dem Namen des neuen Inhabers Richard Drewer wieder eröffnet.
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Abb.: Bescheigung über Einreise- und Niederlasungsverhandlungen, ausgestellt am 15. Dezember 1938 vom Konsulat der Dominikanischen Republik in Köln (Foto: Familie Jampel)
Abb.: Flucht- bzw. Auswanderungsvorbereitungen 1939, Anna Jampel hat sich vom Finanzamt Gelsenkirchen-Süd eine Unbedenklichkeitsbescheinigung ausstellen lassen. (Foto: Familie Jampel)
Abb.: Anna Jampel mit ihren Zwillingssöhnen Salo und Hermann
Leo Jampel floh im Mai 1939 zunächst alleine nach Malta, Ehefrau Anna zog in diesem Monat mit den Söhnen in die Königstraße 30. Einige Zeit danach reiste Leo Jampel von Malta nach Großbritannien weiter, wo er mit seiner Familie nach deren Flucht im Juni 1939 aus Nazi-Deutschland wieder zusammentraf.
Vor dem Hintergrund des anhaltenden Weltkrieges und der Geburt eines dritten Kindes - Helen - im Jahr 1943 beschloss Familie Jampel, sich in Großbritannien dauerhaft niederzulassen, anstatt wie ursprünglich geplant in die USA zu gehen. Leo Jampel gründete bald darauf in Großbritannien ein neues Unternehmen, die "SG Mantles Limited".
Die Verlegung dieser vier Stolpersteine hat die Familie Jampel initiiert und auch die Patenschaft übernommen. Ruth Jampel hat uns Fotos und Dokumente zur Verfügung gestellt.
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Biografische Zusammenstellung: Andreas Jordan, Projektgruppe STOLPERSTEINE Gelsenkirchen. April 2024.
Quellen:
Familie Jampel
Datenbank der in den Jahren 1933 bis 1945 in Gelsenkirchen verfolgten Jüdinnen und Juden (Abruf 4/2024)
Abbildungen:
Anzeige Eröffnung: zeit.punktNRW Zeitungsportal NRW (Abruf 4/2024)
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