STOLPERSTEINE GELSENKIRCHEN

Ausgrenzung erinnern


Stolpersteine Gelsenkirchen

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HIER WOHNTE

Verlegeort KARL SCHÖNEBERG

JG. 1890
GEDEMÜTIGT / ENTRECHTET
OPFER DES POGROMS 1938
SCHWER MISSHANDELT
TOT AN FOLGEN 4.4.1941

Verlegung geplant 2024, Verlegeort: Höhe Kurt-Schumacher-Str. 101, 45881 Gelsenkirchen (Ursprüngliche Bebauung/Straßenführung nicht erhalten.)

Der jüdische Kaufmann Karl Schöneberg, geboren am 12. November 1880 in Gelsenkirchen-Schalke, war mit der in Emmerich am geborenen 18. Juni 1905 nicht-jüdischen Luise, geborene Holzum verheiratet. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor. Ab 1935 galt die Ehe nach Lesart der Nazis als so genannte "Mischehe".

Anzeige in der Lokalpresse, auch Karl Schöneberg hat den

Abb.1: Anzeige in einer Lokalzeitung, auch Karl Schöneberg "in Firma Lebensmittelhaus Schöneberg" trägt die Verlautbarung mit.

Karl Schöneberg diente als Frontsoldat im ersten Weltkrieg - für Deutschland und den Kaiser. Er soll sogar mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet worden sein.

Kaufmann Schöneberg betrieb in seinem Mehrfamilienhaus an der damaligen König-Wilhelm-Str.27 ein Manufaktur- und Kolonialwarengeschäft. Das Geschäft - heute würde es als Gemischtwarenladen bezeichnet - befand sich im Eckhaus Kaiser-Wilhelm-Str. 27/Walzwerkstrasse. (Im Stadtplan 1936 "1. Walzwerkstr.", 1939 dann Walzerstr.) Der Bereich hat nach dem 2. Weltkrieg eine umfassende Neugestaltung und Bebauung erfahren.) Im Telefon- und Adressbuch von 1914-15 findet sich der Eintrag "Schöneberg, D. S. Kfm. Kolonial und Manufakturwaren, König-Wilhelm-Straße Nr.27". Wer sich hinter den Initialen "D.S. verbirgt, konnten wir bisher nicht in Erfahrung bringen.

Im September 1935 wurden die so genannten "Nürnberger Gesetze" verkündet, die den NS-Rassismus juristisch institutionalisierten. So wurden Juden und deren „deutschblütige“ Partner, mit denen sie in Mischehe lebten, als Person herabgewürdigt, in ihrer Erwerbstätigkeit eingeschränkt und durch Vorschriften in ihrer Lebensführung fremdbestimmt. Die als „jüdisch“ eingestuften Ehepartner blieben jedoch zumindest bis kurz vor Kriegsende von Deportationen verschont und entgingen so zumeist dem Holocaust.

Die Nürnberger Gesetze verboten auch die Schließung weiterer Mischehen, änderten für die bestehenden Mischehen jedoch noch nichts. Im Dezember 1938 dann stellten die NS-Machthaber die Mischehen besser als »volljüdische« Paare und differenzierten zwischen »privilegierten« und »nichtprivilegierten« Ehepaaren. Als »privilegiert« galten Paare (auch kinderlose), wenn die Frau jüdisch war oder wenn christlich erzogene Kinder vorhanden waren. Diese Familien konnten in ihren Wohnungen verbleiben, das Vermögen auf den nichtjüdischen Teil überschreiben, und der jüdische Partner musste den »Judenstern« nicht tragen. »Nichtprivilegiert« waren Ehen mit einem jüdischen Ehemann, die kinderlos waren, solche mit jüdisch erzogenen Kindern oder solche, deren nichtjüdischer Teil zum Judentum konvertiert war. Sie mussten in »Judenhäuser« ziehen, ihr Vermögen wurde gesperrt, sie wurden bei Auswanderung als jüdisches Paar behandelt. Zwangsarbeit mussten auch in Mischehe lebende Juden leisten.

Adressbuch Gelsenkirchen, Ausgabe 1939. Karl Schöneberg ist noch als Eigentümer des Hauses Kaiser-Wilhelm-Str. 27 genannt

Abb.2: Adressbuch Gelsenkirchen, Ausgabe 1939. Karl Schöneberg ist noch als Eigentümer des Hauses Kaiser-Wilhelm-Str. 27 genannt

Auch Familie Schöneberg erlebte die Pogromwoche vom November 1938 in ihrer ganzen Brutalität. Ein Zeitzeuge berichtete: „In der Nacht zum 10. November 1938 kam ich mit 4 Arbeitskollegen von der Nachtschicht. Auf dem Heimweg kamen wir an dem Lebensmittelgeschäft Schöneberg, Ecke König-Wilhelm-Straße / Walzwerkstraße vorbei. Dort sahen wir 3 Männer, mit langen grauen Kitteln bekleidet, die mit Messingstangen die Schaufenster einschlugen. Anschließend warfen sie die Ladeneinrichtung auf die Straße. Der hinzukommende Ladeninhaber wurde als "Judensau" beschimpft und fürchterlich verprügelt. Nachdem das Geschäft zerstört war, verließen die Männer die Räume in Richtung Schalker Straße. Wir folgten ihnen. Auf der Schalker Straße zerschlugen die gleichen Männer die Fensterscheiben des jüdischen Fleischergeschäftes Leo Sauer und liefen weiter. Bei der Verfolgung der Randalierer konnten wir sehen, daß auch die Scheiben der jüdischen Geschäfte Isidor Goldblum und Siegmund Katzenstein zerschlugen wurden. (...)“ Am Morgen nach der feigen Tat wurden in der Nachbarschaft der Schönebergs Kinder mit diesem Satz an den Ort des Geschehens geschickt: "Lauft mal schnell zu Schöneberg, da liegen die Bonbons auf der Straße."

Von den bei diesem rassistisch motivierten Überfall und den dabei erlittenen schweren Misshandlungen erholte sich Karl Schöneberg nicht mehr. Er floh nach Emmerich, dem Geburtsort seiner Frau und in andere Orte, erkrankte chronisch und wurde arbeitsunfähig. Ende 1940 wurde er in das Israelitische Asyl für Kranke und Altersschwache (Jüdisches Krankenhaus) in Köln-Ehrenfeld eingeliefert. Er starb am 4. April 1941 in Gelsenkirchen.

Sterbefall Karl Schöneberg, Gelsenkirchen

Abb.3: Karteikarte Sterbefall Karl Schöneberg (Arolsen Archives)

Biografische Zusammenstellung: Andreas Jordan, Gelsenzentrum e.V., März 2023

Quellen:
Bastian Fleermann, Gerd Genger, Hildegard Jakobs, Immo Schatzschneider: Die Toten des Pogroms 1938, 2019. S. 101
https://www.mappingthelives.org/ (Abruf 1/2023)

Abbildungen:
1: Anzeige in der Gelsenkirchener Zeitung vom 3. Mai 1933
2: Adressbuch Gelsenkirchen, Ausgabe 1939
3: 12672924/ITS Digital Archive, Arolsen Archives


Projektgruppe STOLPERSTEINE Gelsenkirchen, 3/2023

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