STOLPERSTEINE GELSENKIRCHEN
Ausgrenzung erinnern
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HIER WOHNTE
PAULA BACK
GEB. HECHT
JG. 1893
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
1943 AUSCHWITZ
ERMORDET
29.1.1943
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HIER WOHNTE
MORITZ BACK
JG. 1880
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
TOT
20.12.1942
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HIER WOHNTE
KLAUS BACK
JG. 1928
KINDERTRANSPORT 1939
SCHWEDEN
ÜBERLEBT
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HIER WOHNTE
ERNST BACK
JG. 1923
KINDERTRANSPORT 1939
SCHWEDEN
ÜBERLEBT
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HIER WOHNTE
HILDE BACK
JG. 1922
FLUCHT 1940
SCHWEDEN
ÜBERLEBT
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Verlegeort: Ebertstraße 1, Gelsenkirchen
Abb. 1: Einwohnermeldekarte der Stadt Limburg a. d. Lahn für Paula Hecht. Darauf vermerkt die Abmeldung nach Gelsenkirchen und die Heirat mit Moritz Back
Der am 16. November 1880 in Lichtenau geborene Rechtsanwalt Moritz Back heiratete am 12. September 1921 standesamtlich in Limburg [1] die am 24. Januar 1893 in Limburg/Lahn geborene Näherin Paula Hecht [2]. Das junge Ehepaar zog in eine gemeinsame Wohnung in Gelsenkirchen an der Wallotstraße 7.
In der Folgezeit wurden ihre drei Kinder in Gelsenkirchen geboren, am 3. Oktober 1922 Hilde, am 6. November 1923 Ernst Ludwig und am 30. November 1928 Klaus Friedrich. Von 1931 bis Ende 1933 wohnte die Familie an der Zeppelinallee 55, zog dann in die Litzmannstraße 1, die heutige Ebertstraße. Dort wohnte die Familie nach Angaben von Ernst Back bis 1942.
Schon kurz nach der Machtübergabe an die Nazis im Januar 1933 war auch Moritz Back von dem am 1. April stattfindenden reichsweiten Boykott gegen jüdische Geschäfte und Warenhäuser, Ärzte und Rechtsanwälte betroffen. Er konnte jedoch seinen Beruf als Rechtsanwalt als so genannter "Frontkämpfer" zunächst weiter ausüben. Später wird ihm - wie allen jüdischen Rechtanwälten - die Zulassung als Rechtsanwalt beim Amts- und Landgericht entzogen. Als so genannter "Konsulent" darf er ab Oktober 1938 nur noch Juden beraten und vertreten. Ernst Back besuchte ab 1934 das Städtische Real-Gymnasium an der damaligen Adolf-Hitler-Straße (Heute Grillo-Gymnasium), bis er 1938 von dieser Schule vertrieben wurde. Er war der letzte jüdische Schüler, der das Städtische Real-Gymnasium verlassen musste. Vor dem Grillo-Gymnasium an der heutigen Hauptstraße 60 erinnern seit Anfang Oktober 2016 erste Stolpersteine an von dieser Schule vertriebenen jüdischen Kinder und Jugendlichen - darunter auch ein Stolperstein, der an den Schüler Ernst Back erinnert.
Abb: Hilde Back besuchte das Lyzeum in Gelsenkirchen, ein "Gymnasium für Mädchen" (heutiges Ricarda-Huch-Gymnasium). Auf dem Klassenfoto von der Sexta (Klasse 5) im Jahre 1933 steht Hilde Back in der vorderen Reihe, 5. von links. Frau Hildegard Schneiders hat uns das Foto dankenswerterweise zur Verfügung gestellt.
Die drei Kinder des Ehepaars Back konnten Ende der Dreißiger Jahre mit Kindertransporten aus Deutschland fliehen und überlebten so in Schweden. Die Eltern dagegen konnten Deutschland nicht mehr verlassen. Etwa im April 1942 wurden Moritz und Paula Back dann von den NS-Behörden gezwungen, in eines der so genannten "Judenhäuser" an der Klosterstraße 21 zu ziehen. Am 31 Juli 1942 wurden Moritz und Paula Back zusammen mit anderen jüdischen Menschen aus Gelsenkirchen nach Theresienstadt deportiert.
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Abb. 2: Postkarte von Klas Back an seine Mutter in There- sienstadt, abgeschickt am 26. Februar 1943. Die Karte kam kurze Zeit später mit dem Vermerk "Abgereist" zurück.
Dort starb Moritz Back am 20. Dezember 1942, nach der "Todesfallanzeige" angeblich an "Herzmuskelentartung". Paula Back, die in einem letzten Brief vom 8. Januar 1943 an ihre Kinder in Schweden schrieb, dass sie in Theresienstadt bei einem Arzt arbeitete, wurde kurze Zeit später vom Ghetto Theresienstadt weiter nach Auschwitz verschleppt, wo sie am 29. Januar 1943 ermordet wurde.
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Abb. 3: Moritz Back mit seinen Kindern (v.l.) Ernst, Hilde und Klaus bei einem Ausflug, um 1933
Erinnerungen von Klaus Friederich Back, der nach seiner Flucht aus Deutschland in Schweden die Vornamen Klas Fredrik annahm:
"Vater war Rechtsanwalt am Amts- und Landesgericht und seit vielen Jahren in Gelsenkirchen tätig und hatte ein anständiges Auskommen. Vater war während des Ersten Weltkrieges in der deutschen Armee gewesen und dadurch Mitglied im Verein der jüdischen Frontsoldaten. Dieses führte dazu, dass er 1933, als die ersten antisemitischen Gesetze viele Berufe für Juden unmöglich machten, seine Rechtsanwalts- praxis im begrenzten Ausmaße weiterführen konnte.
Zur Zeit der Kristallnacht, im November 1938, lag unser Vater krank im Bett mit Gelbsucht. Meine Geschwister und ich wurden mitten in der Nacht von Schlägen an die großen Glasscheiben an der Woh- nungstür geweckt. Ich hörte laute Stimmen. Mutter kam in unser Schlafzimmer und sagte, wir sollten uns nicht beunruhigen, und nach einer Weile wurde es wieder still und ich schlief weiter. Am Morgen war alles normal — aufstehen, zur Schule gehen, aber Vater sagte zu uns: "Seid bitte sehr vorsichtig, wenn ihr zur Schule geht. Geht den kürzesten Weg und schnell direkt zur Schule."
Mein Schulweg führte von der Ebertstraße über den Neumarkt entlang der Bahnhofstraße, dann unter die Eisenbahn zur jüdischen Volksschule. Überall sah ich zerschlagene Fenster in den Läden und Kaufhäusern und Bemalungen mit Sprüchen von Judenhass. Schnell ging ich bestimmt, kam zur Schulmauer, die zerschlagen war, und wurde von der Lehrerin vor der Tür direkt wieder nach Hause geschickt. "Schulunterricht gibt es heute nicht."
Meine Schwester Hilde war zu dieser Zeit nicht in Gelsenkirchen, nur mein Bruder Ernst und ich. Vater wurde in der Nacht nicht abgeholt. Ich habe dazu nur eine Überlegung, ob richtig oder falsch, weiß ich nicht: Auf Krankheit nahm man bestimmt keine Rücksicht, wenn man jüdische Männer holte und ins KZ sperrte. Es war wohl der Mut meiner Mutter - denn mutig war sie -, so habe ich verstanden und so wurde mir auch später erzählt. Und ich stelle mir auch vor, dass die Polizei, die Vater holen sollte, dieses vielleicht nicht tat, da sie Vater kannten.
Abb. 4: Das Wohnhaus der Familie Back an der heutigen Ebertstraße 1 um 1900, damals noch Bankstraße. Das Haus hat den 2. Weltkrieg fast unverändert überdauert.
An diesem Tag verließen wir die Wohnung nicht mehr. Am Nachmittag wurde wieder an die Tür geschlagen. Es kamen einige Männer, zivil gekleidet. Sie gingen in die beiden Büroräume der Rechtsanwaltspraxis unseres Vaters und verwüsteten das ganze Büro, warfen das Bücherregal und Aktenregale um und zerstreuten alle Akten übet die beiden Büroräume.
Dann gingen sie in das Schlafzimmer von Vater, schimpften und drohten, dass sie wiederkommen würden und Vater an das Fensterkreuz nageln würden. Vater kannte die Männer nicht. Er meinte, dass es sich möglicherweise um Leute handelte, mit denen er vielleicht mal am Gericht etwas zu tun gehabt hatte und die die Akten vernichten wollten. Diese Nacht und einige folgende Nächte, die nun kamen, blieben wir nicht in unserer Wohnung, sondern bei der Sekretärin, die bei meinem Vater gearbeitet hatte. Einige Tage später ging ich mit Mutter durch die Stadt. Sie wurde plötzlich von einer Krankenschwester vom katholischen Krankenhaus angesprochen und diese sorgte dafür, dass Vater ins Krankenhaus kam, wo man meinte, dass man ihn schützen konnte.
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Abb. 5: Paula Back, geborene Hecht
Es wurden 1938 und 1939 Kindertransporte nach Holland, nach Großbritannien und nach Schweden organisiert. Dass wir drei Geschwister überhaupt gerettet wurden, ist wohl ein unglaubliches Glück. Der schwedische Staat hatte sich bereit erklärt, 500 bis 600 deutsche jüdische Kinder, deren Eltern, Einreisegenehmigungen für die USA hatten, in Schweden anzunehmen bis es möglich wäre, die Kinder wieder mit den Eltern in den USA zusammenzubringen. Unser Vater war Mitglied im Vorstand der jüdischen Gemeinde in Gelsenkirchen. Gelsenkirchen hatte in den 20er und Anfang der 30er Jahre einen Rabbiner, Emil Kronheim, der dann Rabbiner in Stockholm wurde. Dieser hatte Verbindung mit Vater und sorgte dafür, dass mein Bruder und ich in einem solchen Kindertransport nach Schweden kommen konnten.
Ich erinnere mich an das Packen, an unruhige Vorbereitungen und nicht sehr gute Erklärungen, was geschehen sollte. Ich erinnere mich aber genauer daran, dass eines Tages Mutter, mein Bruder Ernst und ich nach Hamburg fuhren und dort übernachteten, irgendwo in einer Pension und ich erinnere mich, dass wir in der Nacht auf einem Stahlbett schliefen ohne Matratze und ohne Laken. Und wiedet so eine Frage an die Mutter mit dem ganzen Unverständnis eines Kindes, warum man nicht in einem richtigen Bett schläft? "So ist es heute eben", sagte Mutter.
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Abb. 6: Jüdische Jugendliche in Gelsenkirchen, um 1938. Rechts,sitzend: Hilde Back
Meine Schwester Hilde kam nicht mit dem Kindertransport nach Schweden, ich weiß nicht genau warum. Mit Hilfe von Prof. Holmbäck hatten aber rasch die Anstrengungen begonnen, auch Hilde nach Schweden zu bringen. Dieses gelang etwa nach einem Jahr mit größten Schwierigkeiten wegen der Regelungen für ein damals 17jähriges Kind. Es musste garantiert werden, dass sie sich selber versorgen könnte.
Es musste eine Arbeitserlaubnis und ein Arbeitsplatz besorgt werden, und sie begann als Kinderpflegerin in einer Familie in der Nähe von Stockholm. Ich kenne nicht genau die Einzelheiten, wie es möglich wurde, dass Hilde Deutschland verlassen konnte, denn zu der Zeit war es schon fast unmöglich für Juden aus Deutschland auszuwandern. Professor Ake Holmbäck hatte durch seine Zeit in der schwedischen Regierung verschiedene gute Kontakte, unter anderem mit einer Familie, die mit Hermann Göring befreundet waren. Göring war, wie bekannt, erst mit einer Schwedin verheiratet, nach einer Pflege in einem schwedischen Spital im Zusammenhang mit einer Geisteskrankheit. So gelang es also, Hilde nach Schweden zu retten. Leider gelang es nicht mit den Eltern, auch hier wurden große Anstrengungen von Prof. Holmbäck unternommen, mit vielen diplomatischen Kontakten.
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Schon direkt nach dem Krieg hatten wir wieder Briefkontakt, und schon 1950 besuchte ich Anna B. zum ersten Mal, als sie immer noch auf der Rotthauser Straße wohnte, in einem ganz winzigen Zimmer auf der Diele. Ich kannte den Weg noch gut, kam mit der Straßenbahn von Essen, stieg nahe beim Haus aus und ging nach oben. Es war wohl im Sommer. Sie wusste ja, dass ich kommen würde. Ich wurde mit einem großen Glas kalter Buttermilch begrüßt. Es war ein freudiges Wiedersehen. Anna B. erzählte viel, und ich wohnte einige Tage bei dem Sohn zusammen mit deren Kindern. Dadurch habe ich heute noch Kontakt mit den Kindern. Von den Erzählungen habe ich nicht mehr viel in Erinnerung, aber besonders eine Episode, als die Eltern noch auf der Ebertstraße 1 wohnten - wahrscheinlich Mitte/Ende 1939 oder Anfang 1940. Mutter ging zu einer Ausbildung, in Köln glaube ich, denn sie war sich bewusst, dass im Fall einer Auswanderung, sie sich auch selber versorgen musste.
Unser Vater war unterdessen beinahe blind geworden, lernte Blindenschrift und hatte wahrscheinlich den grünen Star. Als also an einem Tag Vater alleine war, kamen Leute von der Polizei in Gelsenkirchen, holten Kleider und andere Gegenstände, die sie beschlagnahmten. Nachdem Vater dieses erzählte hatte, als Mutter nach Hause gekommen war, ging Mutter am nächsten Tag zum Gelsenkirchener Polizeiamt. Sie bekam die Kleider und auch andere Gegenstände zurück. Offiziell beschlagnahmt oder privat geklaut, man nahm sich wahrscheinlich gewisse Freiheiten in einer Zeit, in der das Schikanieren von Juden immer weiter anwuchs. Anna B. konnte auch genau erzählen, wie die Eltern dann zusammen mit anderen jüdischen Familien in einer kleinen Wohnung an der Klosterstraße untergebracht wurden. Anna B. war auch, so habe ich es jedenfalls verstanden, bis zu den letzten Tagen vor der Deportierung noch zu Besuch, obwohl dieses absolut verboten war.
Am 27. Dezember 1939 schrieben die Eltern: "Lieber Klausi, wenn du diesen Brief bekommst, bist du aus den Ferien sicher zurück und hast wieder schöne Tage gehabt, du hast es wirklich gut und kannst den guten Menschen dort, die so lieb zu dir sind, nicht dankbar genug sein. Hilde wird nun bald bei dir sein und dir von uns berichten." Wie viel ich damals von dem Inhalt der Briefe verstand, darüber mache ich mir heute Gedanken. Ein Brief vom 24. September 1940 zeigt, wie die Gedanken der Eltern ständig bei uns Kindern waren: "Mit Gottes Hilfe werden wir bald wieder schöne Stunden zusammen verbringen können." Die Briefe waren damals schon zensiert, wie man aus einer kleinen Notiz in der linken Ecke sehen kann. Im Geburtstagsbrief zum 12. Geburtstag sind mitten im Brief, an zwei Stellen, Wörter ausgeschnitten. Hier hat das jüdische Wort "Barmitzwa" an beiden Stellen gestanden — ein gefährliches Wort für den Zensor oder für mich als Kind?
Im Herbst 1941 sehe ich aus den Briefen, dass die Eltern eine gewisse Hoffnung hatten, nach Schweden zu kommen, wie z.B. am 21. November 1941 "Wir können zur Zeit gar nicht zu euch ausreisen, hoffen aber, dass es doch noch dazu kommt, dass wir die Einreiseerlaubnis nach Schweden ausnützen können. Gott möge es bald geschehen lassen!" Die Nazibehörden ließen es nicht geschehen. In einem der folgenden Briefe dann, vom 27. Januar 1942, hieß es: "Mir einem lieben Brief vom 19.1. und den beiden Bildern von dir hast du uns, wo wir doch traurig sind, weil wir nicht zu euch kommen können, eine große Freude gemacht."
Abb. 7: "Todesfallanzeige" Ghetto Theresienstadt
Im April 1942 kam der erste Brief von dem jüdischen Sammellager auf der Klosterstraße 21, aber ohne besondere Kommentare. Es kamen weiter noch viele liebe Briefe und interessant ist, dass die Eltern über verschiedene schwedische Maler erzählten, denn sie waren an Kunst interessiert, sie mahnten mich, ich sollte mir doch solche Bilder ansehen, es waren nur Mahnungen an ein halb erwachsenes Kind.
Am 21. Juli 1942 kam ein Brief mit der Mitteilung, dass sie am 28. Juli nach Theresienstadt abgereist waren. Aus Theresienstadt kam dann nur, so auf jeden Fall nach meiner Briefsammlung, ein Brief vom 8. Januar 1943, in dem Muttet mitteilte, dass Vater nach kurzer Krankheit sanft eingeschlafen war. An den Tag, als dieser Brief kam, erinnere ich mich noch — wie Tante Sofie mit den Brief vorlas und ich weinend aus dem Haus lief. Es war 20 Grad Minus und ich versteckte mich in der Holzbude. Sanft eingeschlafen! Die Bilder von Schlaflagern in Theresienstadt sah ich erst mehrere Jahre später. (...)" [3]
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Quellen:
[1] Stadtarchiv Limburg a. d. Lahn, Heiratsregister 1921, StALM II/692.
[2] Stadtarchiv Limburg a. d. Lahn, Geburtseintrag des Standesamtes Limburg Paula Hecht, Stadtarchiv Limburg II/636
[3] Der Bericht von Klas Back "Rettung durch einen Kindertransport — und welche Erinnerungen bleiben" wird hier in Auszügen wiedergegeben, ausführlich in: Stefan Goch, "Jüdisches Leben, Verfolgung-Mord-Überleben", S.157-171. Essen 2004.
Gedenkbuch Bundesarchiv
yad vashem.org
holocaust.cz
Abbildungen:
1: Stadtarchiv Limburg a. d. Lahn, Einwohnerkartei/"Judenkartei"
2, 3, 5: Privatbesitz Familie Back
4: Ausstellung "Heißes Eisen"
6: Stadtarchiv Gelsenkirchen, ISG
7: Terezinska Pametni Kniha/Theresienstaedter Gedenkbuch, Terezinska Iniciativa, vol. I-II Melantrich, Praha 1995, vol. III Academia Verlag, Prag 2000
Projektgruppe STOLPERSTEINE Gelsenkirchen, Februar 2013.
Stolpersteine für Moritz, Paula, Hilde, Ernst und Klaus Back, verlegt am 17. Dezember 2013
Die Patenschaften für die Stolpersteine, die an Familie Back erinnern, hat Marianne Wodniczak mit ihrem Freundes- und Familienkreis übernommen.
Von Ernst Back verfasste Rede anlässlich der Stolpersteinverlegung in Gelsenkirchen, Ebertstraße 2 - auf Bitte von Herrn Back am 17. Dezember 2013 verlesen:
"Liebe Gelsenkirchener, und Gelsenzentrum, gemeinnütziger Verein für regionale Kultur- und Zeitgeschichte, liebe Teilnehmer an der Einweihung! Wir danken ihnen für diese Stolpersteine, gewidmet unseren lieben Eltern Paula und Moritz Back. Unsere Eltern waren tüchtige und gute Gelsenkirchener, tief verwurzelt in Deutscher Kultur wie auch im Judentum.
Unser lieber Vater Moritz Back, geboren 1880 kam 1905 als junger Rechtsanwalt nach Gelsenkirchen. Er stammte aus eine Kaufmannsfamilie mit drei Brüdern aus dem "Ackerbau-Städtchen" Lichtenau bei Paderborn. Unsere liebe Mutter Paula kam hierher nach ihrer Heirat im Jahr 1921. Sie stammte aus einer Schneiderfamilie in Limburg an der Lahn Mit einer Schwester und einem Bruder der 1915 im ersten Weltkrieg in Arras in Frankreich gefallen war. Unsere erste Wohnung lag in einem dreistöckigen langen Haus Wallotstraße 7 mit Gaslicht in der Wohnung, auch an der Straße. Dahinter war ein langer Garten für die Kinder des Hauses und weiter weg die Zeche... Dazwischen überall Kartoffelfelder, überall Kartoffelfelder bis nach Katernberg.
An die 1920ger Jahre haben wir schon Erinnerungen an unsere Eltern. Beide liebten sie die Natur und Sonntags fuhren wir mit Straßenbahnen in Wald und Heide nach Haltern oder zur Ruhr zum Spaziergang. Paula und Moritz Back hatten tiefe Wurzelfäden in Deutschland. Die unserer Mutter waren im Lahn-, Main- und Rheintal im Taunus bis Anfang 1700 nachweisbar. Unser Vater Moritz Back war in seinem Geburtsort Lichtenau nachweisbar die 10te Generation nach dem 1623 genannten ersten Fürstbischoflichen Schutzjuden Moses Judt. Er war die 8te Generation nach dem Schutzjuden Benedict, der 1673 vom Paderborner Fürstbischof Ferdinand von Fürstenberg zum Obervorgänger ernannt wurde. Er hatte damit die Aufgabe das jährliche Schutzgeld der jüdischen Familien für den Fürstbischoff einzusammeln. Das sind nur Beispiele aus der Familiengeschichte.
In unserem Heim zitierte man immer Goethe und Schiller – auch Lessing und unsere Mutter sang viele Lieder von Schubert, die wir noch im Sinn haben. Gleichzeitig waren wir Juden und Moritz Back war viele jahre im Vorstand der Jüdischen Gemeinde. Schon Anfang der 30er Jahre wurd alles schwerer, Ich, Ernst Back ging - wohl 1931- zur jüdischen Schule an der Ringstraße. Kurz davor wurde ich von drei größeren Jungen überfallen, festgehalten und ins Gesicht geschlagen. "Du bist ein Judas Iskariot, ihr habt unseren Jesus getötet, hier kriegst Du". Ich verstand garnichts, ich kannte nur das Alte Testament. In der Jüdischen Schule wischte mir meine Lehrerin Fräulein Erna Goldbach das Nasenblut aus dem Gesicht. Erna Goldbach wurde in Riga 1943/44 mit anderen Gelsenkirchener Frauen erschossen.
Um 1934 zog unsere Familie weiter an die Ebertstraße 1 in das frühere Büro meines Vaters mit Mitarbeitern als Rechtsanwalt und Notar. Über uns im zweiten Stock wohnte die Familie Kalbhenn mit drei Kindern, die meine treue Freunde verblieben sind. Es kamen schwere Zeiten für uns Juden, es kam die Kristallnacht, unsere naheliegende Synagoge wurde angezündet und brannte unsere Wohnung hier wurde am Tag danach teilweise verwüstet von drei Männern, die gleichzeitig Rechtsakten aus dem Büro stahlen usw.
Aber die Kristallnacht erweckte auch die Regierungen in anderen Ländern, sodass sie Einreiseerlaubnisse für Kindertransporte gaben, so auch die schwedische Regierung – ein Glück für uns von Paula und Moritz Back. Aber als es uns 1941 gelang, eine Einreiseerlaubnis für unsere Eltern zu erzielen, ließ Deutschland sie nicht mehr heraus. Ihr schweres Schicksal war schon besiegelt. Moritz Back ist im Dezember 1942 im KZ Theresienstadt umgekommen. Paula Back erlitt Anfang 1943 im KZ Auschwitz den Gastod. Die Stolpersteine sollen an diese zwei Gelsenkirchener erinnern.
Bei meinem ersten Rückbesuch in Gelsenkirchen im Oktober 1950 stand im nördlichen Stadtgarten Ecke Zeppelinallee – alles schön umpflanzt- eine vielleicht 5 Meter hohe Säule mit den 500 Namen der Gelsenkirchener Opfer des nationalsozialismus, Namen von Juden, von Genossenschaftsleitern, von politischen Gegnern der Nationalsozialisten, Menschen verschiedenen Glaubens, verschiedener Herkunft alle am selben Mahnmal. Das tat meiner Seele gut. Es war grade vorher von der VVN gewidmet und mit Schülergesang und Bergkapelle eingeweiht und der Stadt Gelsenkirchen überreicht. Es war dem Bürgermeister Halwaß übernommen. Anderthalb Jahre später war dieses Mahnmal verschwunden. Keiner weiß wie und wohin, auch nicht das Stadtarchiv. Es war ein frühes Mahnmal für Toleranz und Zusammenarbeit. Im November 2008 nahm ich an der feierlichen Einweihung des Mahnmals im Hof der neuen Jüdischen Gemeinde teil. Das tat meiner Seele gut.
Heute sind wir in Gedanken bei euch Gelsenkirchenern bei der Einweihung dieser Stolpersteine in Erinnerung an unsere Eltern. Die Steine mitten in der Stadt und sollen auch ein Mahnmal sein für Toleranz, für Zusammenarbeit von Gelsenkirchenern von verschiedener Herkunft, von verschiedenem Glauben, verschiedener Muttersprache.
Wir Kinder von Paula und Moritz Back gehören zur Jüdischen Gemeinde. Die Frauen von Ernst und verstorbener Bruder Klaus, wie auch Kinder, Enkel und Großenkel gehören zur evangelischen Kirche. Wir beten an einen gemeinsamen Gott, einen Gott aller Menschen. Sein wichtigstes Gebot ist das der Liebe zu unseren Nächsten, unseren Nachbarn, großen und kleinen verschiedenen Glaubens. Wir wünschen, dass diese Stolpersteine auch dazu mahnen, an eine Arbeit für Toleranz und Zusammenarbeit die immer weiter geführt werden muß in der Welt und auch in Gelsenkirchen. Damit danken wir ihnen, liebe Gelsenkirchener für diese Stolpersteine.
Ihre Hilde und Ernst Back
→ Rede Ernst Back (PDF)
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Die Kinder
es war die zeit,
in der unschuldiges
junges leben
aufhörte zu sein,
in der drohende wolken zogen
und kalter wind
aus unmenschlichkeit
und hass
kleine leben störte.
noch gestern
in reinheit
jugend gelebt,
mit zarter freundschaft
auf schulwegen verknüpft,
lachen glockenhell
unverfälscht und rein,
fiel doch schon ein
unsichtbarer schatten.
dann die feuer entfacht,
brannten zwei tage und nächte,
brannten sich lodernd
durch mauern in seelen,
hörte man in sprengenden steinen,
in krachenden balken
das unheil flüstern:
„fürchtet, fürchtet was nun geschieht
sorgt euch um eure leben.“
die kleinen aus dem schlaf gerissen,
schläge an der tür,
laute männerstimmen schrien,
es hätte nur ein
traum sein können,
doch der morgen zeigte
ruß und scherben
lauft nur schnell nach haus.
auch dort verwüstung,
das leben des vaters
auf den kopf gestellt,
die mutter beruhigt
der vater erklärt,
doch können ihre
gesichter die angst nicht verbergen.
ganzes leben in koffer gepackt,
falsche gründe gesucht
die kleinen nicht zu ängstigen,
fahrt,
mit der mutter,
auf das warum keine antwort
für niemanden.
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auch von ihr
abschied nehmen,
ferien?
nein, nein man ahnt
dass etwas nicht stimmt,
fremdes land
in dem nur fremde
jetzt vertraut sein sollen.
tränen der mutter
noch in erinnerung,
entwurzelte seelen,
nur briefe führen zurück
in familiäre vertrautheit,
erfahrung wenn man hier
und das herz doch woanders ist.
der kleine schreit
über die nachricht des todes,
der vater entschlafen
absender theresienstadt,
hatten sie nicht versprochen
zu kommen und zu bleiben
um wieder ein ganzes zu sein?
die mutter schreibt,
doch hoffnung schwindet
mit jedem ticken der uhr,
schließlich, irgendwann
auch hier kein brief mehr,
nur noch schweigen
schweigen im angesicht des todes.
so bleiben die kinder
allein in der fremde,
die nun heimat werden muss
weil sonst nichts mehr ist,
nur narben von wunden
die unsichtbar ein leben
lang bleiben.
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Die Kinder. Von Nina Ryschawy, geschrieben am 15. Dezember 2013 anlässlich der Verlegung von Stolpersteinen für die Familie Moritz Back, gewidmet den Kindern Hilde, Ernst und Klaus Back. Vorgetragen auf der die Verlegung abschließenden Veranstaltung.
FORTGEHEN
DA WO ICH GEBOREN BIN
GEBAR MAN DIE KINDER UND NACH JEDER GEBURT
PFLANZTE MAN EINE ZYPRESSE.
DER BAUM WUCHS UND WURDE ÄLTER UND ÄLTER.
AM TAGE DES STERBENS DES EHEMALIGEN KINDES
DES ERWACHSENEN, DES GREISES
FÄLLTE MAN IHN.
DIE ZYPRESSE.
DIE EIGENE.
JEDER HATTE DIE SEINE.
AUS IHREM STAMM ZIMMERTE MAN DEN SARG FÜR DEN VERSTORBENEN.
DER HARZIGE SAFT DES BAUMES FLOSS
- DICKE TRÄNEN -
AUS DEN HÖLZERNEN TEILEN UND DRÄNGTE IN DEN BODEN HINEIN.
DIE BAUMTRÄNEN WAREN SO BITTER,
DASS DER BODEN SICH VERGIFTETE.
AN DIESER STELLE HAT NIE WIEDER EINE ART VON PFLANZE GEDEIHEN KÖNNEN.
NIE.
DE LEICHNAM, EINGEBETTET IN DEN GERADE GEZIMMERTEN SARG
BLIEB IM HAUSE DES VERSTORBENEN FAST VIERUNDZWANZIG STUNDEN.
DAS ZYPRESSENHOLZ
– NOCH FEUCHT VON DIESEM BITTEREN SAFT –
GERADE IM SOMMER
BEI HOHEN TEMPERATUREN
WIRKTE DESINFIZIEREND UND GAB DER WARMEN LUFT DER RÄUME
EINE KLEINE NOTE VON FRISCHE.
NACH DER BEERDIGUNG BÜNDELTEN DIE FRAUEN DIE ZWEIGE
DER GEFÄLLTEN ZYPRESSE.
FORMTEN AUS IHNEN EINE ART BESEN.
MIT DIESEM BESEN UND EINER ART OLIVENSEIFENLAUGE
SCHRUBBTEN SIE DIE HOLZDIELEN DES HAUSES REIN.
DIE TRAUERHÄUSER DUFTETEN MONATELANG NACH.
DEPORTIERTE,
FÜR EUCH WURDE KEINE ZYPRESSE GEFÄLLT.
EURE FAMILIE HATTE KEINE GELEGENHEIT GEHABT,
EUER HAUPT IN DIE ARME DES HADES ZU LEGEN.
IN ACHERON IST DAS BOOT, DAS EUCH FORTBRINGEN SOLLTE,
NICHT VOR ANKER GEWESEN.
NIEMAND
UND VOR ALLEN EURE FAMILIE HAT SICH DAMIT ABFINDEN KÖNNEN
EUCH WEDER GRUß NOCH GESCHENK
- DEN GRANATAPFEL UND DIE DUFTENDE QUITTE –
AN DIE VORAUSGEGANGENEN
ANVERTRAUEN ZU KÖNNEN.
UNS FÄLLT ES SCHWER ZU AKZEPTIEREN
EUCH LOSLASSEN ZU MÜSSEN
OHNE EUCH
DAS BAD GERICHTET ZU HABEN
OHNE WASCHUNG
OHNE EUCH DIE KLEIDUNGSSTÜCKE ANZUREICHEN
NICHT EINMAL EURE LEICHENTÜCHER
OHNE EUCH EINE GUTE REISE ZU WÜNSCHEN.
SO GINGET IHR FORT.
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FORTGEHEN. Von Marianthi Jacobs-Samolis, geschrieben im Dezember 2013 anlässlich der Verlegung von Stolpersteinen für die Familie Moritz Back, vorgetragen auf der die Verlegung abschließenden Veranstaltung.
Projektgruppe STOLPERSTEINE Gelsenkirchen, Nachtrag Dezember 2013.
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